Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Kochmütze vom Kopf, als er unten angelangt war.
»Jetzt mußt du kommen, Claudio. Irgendwas stimmt nicht mit dem Menü, und angeblich hast du gesagt, daß …«
»Er kommt gleich«, unterbrach Billy T. und wedelte mit der Hand. »Geben Sie uns noch fünf Minuten.«
»Mir egal«, murmelte der Junge und wischte den Staub von seiner Mütze, während er die Treppe wieder nach oben stapfte. »Ich bin ja nicht verantwortlich.«
»Eins muß ich noch eindeutig wissen, ehe wir gehen können«, sagte Billy T. leise und beugte sich über den Tisch. »Am Abend des Sonntags, des 5. Dezember, als Brede ermordet wurde … zu diesem Zeitpunkt haben Sie also geglaubt, daß das Restaurant an Sie fallen würde, wenn Brede etwas zustieße.«
»Aber …«
»Ja oder nein.«
»Ja. Aber …«
»Und wo waren Sie? Am Sonntag, dem 5. Dezember, abends?«
»Am Sonntag abend. Ich war … lassen Sie mich nachdenken.«
»Unfug«, sagte Billy T. ruhig und versuchte durchzuatmen. »Versuchen Sie nicht, mir einzureden, Sie müßten sich erst überlegen, wo Sie den Abend verbracht haben, an dem Ihr bester Freund und Kompagnon ermordet worden ist. Ich weiß noch genau, wo ich war, als Palme erschossen wurde. Das ist fast fünfzehn Jahre her, und ich kannte den Mann nicht mal persönlich!«
»Zu Hause.«
»Zu Hause. Obwohl das Entré sonntags geöffnet hat. Na gut.«
»Ich hatte seit fünf Wochen keinen freien Tag mehr gehabt.«
»Was haben Sie an dem Abend gemacht?«
Wieder brach Gagliostro der Schweiß aus. Er litt offenbar an irgendeiner Krankheit, und Billy T. dachte vage, daß es ein arges Handicap für einen Oberkellner und Restaurantbesitzer sein mußte, einen Wasserkopf zu haben und schon bei elf Grad über Null wie ein Schwein zu schwitzen.
»Ich habe ferngesehen und bin früh schlafen gegangen.«
»Allein?«
Gagliostros verzweifelte Miene war Antwort genug. Billy T. nahm all einen Mut zusammen und stand auf. Seine Beine waren wacklig, und er schüttelte sie vorsichtig, ehe er das Diktiergerät in die Tasche steckte und zur Treppe ging.
»Morgen früh um neun. Punkt neun. Auf der Wache. Fragen Sie nach Billy T.«
Erst jetzt fiel ihm ein, daß er sich nicht vorgestellt hatte.
»Billy T.«, sagte er noch einmal. »Das bin ich.«
27
Istanbul war ein graues Meer aus Steinhäusern, die zwischen zwei tiefblauen Punkten eingeklemmt waren. So stellte sie sich die Stadt vor. Sie war niemals dort gewesen. Eine graue Strecke zwischen dem Bosporus und der Blauen Moschee, mit Gewürzduft und orientalischen Teppichen hier und da. So sah Istanbul für sie aus.
Durch dieses Bild lief eine Frau und dachte an sie. Im alten Konstantinopel gab es eine Frau, vielleicht im berühmten Basar, vielleicht mit einer Sonnenbrille zum Schutz gegen das grelle Sonnenlicht, unterwegs zum Bad, zu Mosaiken und heilsamem Wasser, begleitet vom Klang der Gebetsrufe von den Minaretten, die in den Himmel ragten, überall, und diese Frau dachte an sie.
Hanne Wilhelmsen öffnete die Augen und las die Karte noch einmal.
Ihr war unbegreiflich, wieso die so schnell angekommen war. Sie zählte nach. Vor acht Tagen hatten sie sich getrennt. Sie wußte, daß Nefis noch am selben Morgen nach Hause gemußt hatte. Vor einer guten Woche. Zuletzt hatte Hanne Post aus der Türkei bekommen, als Cecilie dort mit anderen Ärztinnen Ferien gemacht hatte. Cecilie war bereits fünf Tage wieder zu Hause gewesen, als ihr Feriengruß endlich eingetroffen war.
Als sie die Karte fand, dachte sie, die könne nicht für sie sein. Sie betrachtete die Großaufnahme einer rotbraunen Decke mit unverständlichem Muster und ärgerte sich über die Unfähigkeit der Post. Dann sah sie sich die Adresse an. »Ms. Hanne Wilhelmsen, Norwegian Police Headquarter, Oslo, Norway, Europe.« Fast wie früher, als Kind, als sie noch Welt, Milchstraße, Universum hinzugefügt hätte.
I live under the moon, and it is a cold planet. I can never forget, but the stars are not for us? Yours, Nefis.
Die Unterschrift hatte sie die tägliche Ration Unterlagen im Fall Ziegler vergessen lassen. Sie hatte sich in ihrem Büro eingeschlossen. Der Text war schön und seltsam, und sie verstand ihn nicht.
Fragezeichen.
Wie war das gemeint?
Hanne war in ihrem Leben einmal verliebt gewesen. Kurz vor dem Abitur hatte sie Cecilie gesehen, und wie ein halbwilder Hund war sie stumm um sie herumgeschlichen, ohne mehr zu vermitteln, als daß sie abseits stand, aber in der Nähe war. Dann waren sie zusammengekommen,
Weitere Kostenlose Bücher