Das letzte Opfer (German Edition)
Fahrzeug, auch kein Taxi. Aber wenn eine Frau zu Fuß wegginge, mache das keinen Lärm.
«Wohin könnte Ihre Frau denn gegangen sein?», fragte Klinkhammer.
«Zum Bahnhof, nehme ich an», antwortete Marko. «Die letzten Tage waren sehr belastend für sie. Möglicherweise hat sie ihren Therapeuten aufgesucht.» Leider sei es ihm durch Norberts Verhalten bisher nicht möglich gewesen, das telefonisch abzuklären. Das holte er nun mit Klinkhammers Einverständnis nach. Die Nummer der Praxis Gerber musste er erst im Kölner Telefonbuch suchen. Dort war nur ein Anrufbeantworter geschaltet, im Telefonbuch keine Privatnummer angegeben.
Die beiden Polizisten signalisierten mit Blicken, dass sie sich überflüssig fühlten. Eine erwachsene Frau hielt sich nicht zu Hause auf, nachdem es dort offenbar mächtig Zoff gegeben hatte. Da wartete man üblicherweise vierundzwanzig Stunden, ob sie freiwillig zurückkam oder etwas von sich hören ließ. Klinkhammer brauchte nur zwei Blicke, um einen nach oben und den anderen ins Freie zu scheuchen, obwohl er nicht davon ausging, sie könnten etwas von Bedeutung finden, draußen sowieso nicht, nachdem die Kinder dort herumgetobt hatten.
Die Polizisten kamen rasch zurück, zuerst der von oben, er schüttelte den Kopf, um zu bedeuten, im ersten Stock sei nichts Auffälliges. Der zweite im Garten entdeckte ein paar rot gefärbte Halme im Rasen zwischen der Kelleraußentreppe und der rückwärtigen Garagentür. Blut! In einem toten Winkel, vom Nachbargrundstück nicht einsehbar, zu den Fußwegen bot der hohe Zaun Sichtschutz. Es sah aus wie eine kleine Schleifspur.
Klinkhammer schaute sich das genau an, stieg auch die Kellertreppe hinunter. Sie war gefliest und mit einer feinen Staubschicht überzogen. Ganz normal in einer Gegend, in der Tagebau betrieben wurde und riesige Bagger die Erde aufwühlten. Aber eine Stufe war blank, und in einer Fuge gab es eine dunkle Stelle, als sei ein Tropfen Blut dorthin gefallen und beseitigt worden, was nicht völlig gelungen war. Auf dem Türknauf entdeckte er zudem winzige, perlförmige Schlieren, wie ein zu feuchtes Tuch sie hinterlässt. An der Garagentür verhielt es sich ebenso.
Klinkhammer setzte sich über die erteilten Anweisungen hinweg und tat, was er für richtig hielt. Er schickte einen der Polizisten los, um Norbert zurückzuholen, und forderte Unterstützung vom elften Kommissariat in Hürth an. Dann informierte er das BKA. Die Privatnummer von Scheib kannte er nicht, auch keine Handynummer. Er musste sich an die Dienststelle wenden, schilderte den Sachverhalt und bat darum, HK Scheib zu verständigen. Das geschah kurz nach sechs Uhr.
Die Beweislage
Bis dahin hatte Thomas Scheib die Begegnung mit Marko im Geist noch einmal in allen Einzelheiten Revue passieren lassen. Es war nicht so gelaufen wie geplant, aber insgesamt war er nicht unzufrieden. Es war doch ein großer Unterschied, jahrelang nur Mutmaßungen anzustellen und jetzt den Mörder leibhaftig vor sich gehabt zu haben.
Marko Stichlers Reaktion auf die Fotos aus dem Spessart war sehr aufschlussreich gewesen. Er hatte keine Miene verzogen – und detailliert geschildert, wie er vorging. Betäuben und eine Decke drüber. Damit hatte er es auf den Punkt gebracht und den letzten Zweifel, wenn es überhaupt noch einen gegeben hätte, vollständig ausgeräumt.
Nur etwas störte Scheib; das Lächeln zum Abschied. Ein sehr beredtes Lächeln, überheblich, mit einem Hauch von Trauer. Vielleicht sagte es: «Wir wissen beide, dass es vorbei ist. Gib dich damit zufrieden und zisch ab.» Aber vielleicht sagte es auch etwas anderes. Die Trauer passte nicht zum Triumph über einen ohnmächtigen Polizisten. Und die Überheblichkeit passte nicht zur Kapitulation. Als er benachrichtigt wurde, bekam das Lächeln eine Bedeutung – wie ein Schlag ins Gesicht. Alles erledigt!
Seine Frau sah ihn am Telefon stehen und seine Miene starr werden. Er schaute sie an, aber sie glaubte nicht, dass er sie wahrnahm. Ohne ein Wort legte er den Hörer auf, ging ins Schlafzimmer und schnappte sich die Reisetasche, die gepackt mit dem Nötigsten immer griffbereit hinter der Tür stand. Ohne Erklärung stürzte er aus der Wohnung.
Zweieinhalb Stunden brauchte er für die Fahrt nach Sindorf. Eine Zeit, in der er nur zwei Stimmen im Kopf hatte, seine eigene, die Klinkhammer abschmetterte: «Unsinn, das kann er sich nicht leisten.» Und Marko, der seinem Sohn versprach: «Ich komme nach, sobald ich alles
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