Das letzte Opfer (German Edition)
Dass er Jasmin dann umgehend nach Hause gebracht hatte, sah aus, als habe er sie aus dem Weg haben wollen.
Marko schüttelte zu allem nur den Kopf, verweigerte die Auskunft zu seinem Aufenthalt in Frankfurt. Seine Verhandlungen dort hätten mit dem Verschwinden seiner Frau nichts zu tun. Es handle sich um ein Geschäft, das vorerst nicht bekannt werden solle. Das klang eher nach Rüstungsindustrie als nach einer Modelagentur.
Er schien erleichtert, den «Polizisten aus München» zu sehen. Für Scheib ein sicheres Zeichen, dass er genau wusste, wen er vor sich hatte. «Beenden Sie diese Farce», verlangte er. «Ich habe keine Ahnung, was hier geschehen ist und wo meine Frau sich aufhalten könnte. Glauben Sie mir, Herr Scheib.»
Scheib glaubte nicht einmal mehr sich selbst und konnte sich jetzt nicht mit ihm auseinander setzen.
Klinkhammer und Norbert saßen im ersten Stock am Computer. Der Stern mit den Fotos und dem Fragezeichen lag auf dem Schreibtisch. Norbert hatte ihn mitgebracht, als man ihn zurückholte, ebenso den Katalog, in dem Karen in Bademoden abgebildet war. Klinkhammer beschäftigte sich mit der Diskette. Das Original war längst als wichtiges Beweisstück sichergestellt. Er war so frei gewesen, für sich eine Kopie zu machen, auf einem Regal stand ein Karton mit ungenutzten Disketten.
Insgesamt waren es neunzehn Dateien. Die letzte umfasste fünf Seiten und siebzehn Zeilen. In ein paar Minuten wäre das nicht zu schaffen gewesen. Der Text bot einen guten Einblick in ihre seelische Verfassung. Keine Spur von Verzweiflung oder Depression, auch keine Angst um ihren Mann. Sie schien nur befürchtet zu haben, Marko hätte ihrer Tochter von der Vergewaltigung erzählt, vielleicht aus Eifersucht, weil Jasmin ihr so wichtig war.
«Sie wollte nicht einmal mit mir sprechen, weigerte sich, den Hörer zu nehmen. Ich hörte sie im Hintergrund reden. Irgendwas muss vorgefallen sein gestern Abend. Christa sagte, sie sei schon den ganzen Morgen so komisch. Gestern Abend hat Christa mal wieder nichts mitbekommen, war vor dem Fernseher eingeschlafen. Muss sie denn immer pennen, wenn man sie nötig braucht? Wenn Marko ihr das erzählt hat, damit zieht man einem Kind doch den Boden unter den Füßen weg.»
Dann folgte eine längere Passage über die vergangene Nacht, Liebe, Lust und Leidenschaft, und noch etliche Zeilen über den Besuch vom frühen Morgen – in denen Scheib nicht gut wegkam. Mitten im Satz brach es ab. Wenn sie am Computer gegessen hatte, bei offenem Fenster, unter dem die Garage lag, hätte sie sowohl Markos Wagen als auch das Garagentor hören müssen. Sie hätte genug Zeit gehabt, den Satz zu Ende zu bringen, abzuspeichern und die Diskette zu verstecken. Vorausgesetzt, sie hätte verhindern wollen, dass Marko sie beim Schreiben erwischte.
Als Scheib das Zimmer betrat, erklärte Norbert gerade: «Weder meine Mutter noch ich haben ihr damals etwas angemerkt. Sie benahm sich nicht wie ein vergewaltigtes Mädchen. Sie war die geborene Schauspielerin. Karen war sie eigentlich nie.»
War! Er sprach, als ginge er nicht davon aus, seine Schwester noch einmal lebend wieder zu sehen. Für ein paar Sekunden erinnerte er Scheib damit an Oliver Lohmann. Ihm fiel auch sofort auf, dass Norbert und Marko den gleichen Typ Mann verkörperten. Aber Norbert war zu diesem Zeitpunkt nur ein Bruder, der Verdacht geschöpft hatte.
Der Belastungszeuge
Klinkhammer übernahm die Vorstellung, diesmal korrekt: «Hauptkommissar Scheib vom BKA.» Mit Wink auf Norbert und der Andeutung eines müden Lächelns: «Der Schwager von Herrn Stichler. Mit ihm hätten Sie sich besser früher unterhalten.» Dann winkte er Scheib in den Flur, umriss die bisherigen Erkenntnisse und geplanten Maßnahmen. Offizielle Festnahme nach Mitternacht. «Ich setze voraus, das ist in Ihrem Sinne. Nach der Aussage seines Schwagers müssen Sie Stichler nicht mehr in Sicherheit wiegen. Und ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass er morgen wieder zu einer Fototour aufbricht.»
Scheib nickte nur, zu einer anderen Reaktion war er noch gar nicht fähig. Sie gingen zurück in das Zimmer, und Klinkhammer verlangte: «Dann legen Sie mal los, Herr Dierden. In Herrn Scheib finden Sie garantiert einen dankbaren Zuhörer.»
Norbert hatte sich seit dem Nachmittag so weit beruhigt, dass er die Vorwürfe gegen Marko in verständlicher Form vorbringen konnte. Alles klang wahrheitsgemäß, auch sein Bedauern, dass er nach Erscheinen des Berichts nichts
Weitere Kostenlose Bücher