Das letzte Opfer (German Edition)
Unschuld in diesem einen Fall ausgerechnet von seinem Jäger beweisen zu lassen.
Marko Stichler verabschiedete sich wenige Minuten vor elf mit Handschlag und einem Lächeln, das Thomas Scheib noch Stunden später verfolgte. Er wunderte sich über sich selbst, diese plötzliche Ruhe, die innere Gelassenheit, dass er die dargebotene Hand nehmen konnte, ohne dabei Sabine Bergholts zerschlagenes Gesicht oder Waltraud Habels kleine Tochter vor sich zu sehen, der diese Hand die Mutter genommen hatte.
Nach beinahe acht Jahren am Ziel. Und nun konnte er es so sehen wie Wagenbach. Egal, wie viel man beweisen konnte und wie viel ungesühnt bleiben musste. Er hatte ihm das Handwerk gelegt, nur das zählte. Es würde keine Frau mehr mit ihrem Gesicht in eine schlammige Pfütze getreten, ermordet und irgendwo verscharrt werden.
Eine halbe Stunde saß er noch mit Klinkhammer zusammen und bot ihm endlich einen Überblick von Anja Heckel bis Waltraud Habel, umriss das Täterprofil und die Bedeutung des 14. September in Stichlers Vita, verschwieg auch nicht, wie es um die Beweislage bestellt war, und erklärte das weitere Vorgehen. Stichler mit seiner Überheblichkeit schlagen und zum Leichtsinn verführen. Für Klinkhammer bedeutete das, Taubenjäger spielen, falls Stichler bei ihm nachfragte, wie die Dinge standen. Keine Bemerkungen mehr über Miethosen oder nackte Hintern.
«Wenn Sie Dampf ablassen müssen», empfahl er, «fluchen Sie auf mich. Stichler steht im Fall Lohmann nicht mehr unter Verdacht. Von anderen Fällen wissen Sie nichts. Wenn er nicht zu Ihnen kommt, gehen Sie damit zu ihm.»
Klinkhammer nickte zwar. Doch selbst wenn er gewollt hätte, an diesen Befehl konnte er sich nicht halten.
Der Taubenjäger
Der Anruf aus der Polizeiwache Bergheim erreichte ihn um fünf Uhr nachmittags. Arno Klinkhammer war mit Gartenarbeit beschäftigt. Seine Frau Ines genoss die Sonne in einem Liegestuhl auf dem Rasen und versuchte, ein Manuskript zu redigieren. Sie war Lektorin bei einem Kölner Verlag, brachte oft Arbeit mit nach Hause, weil sie dort mehr Ruhe fand. Diesmal kam sie über eine halbe Seite nicht hinaus, weil er sich ohne Unterbrechung über den «arroganten Typ vom BKA» ausließ.
Er regte sich auf, seit er nach Hause gekommen war. So was nannte sich nun Sonderermittler oder Fallanalytiker, ließ den Verdächtigen schwafeln, zeigte ihm ein paar Bildchen mit Grünzeug und plauderte mit ihm über die Schönheiten der Natur. Das hätte nun wirklich Zeit gehabt bis Montag oder Dienstag. Wenn er wenigstens nachgehakt hätte, als ihm diese Brocken hingeworfen wurden, das entsorgte Sweatshirt und die Sache mit dem Schwager. Vor allem der Schwager! Er musste ja einen Grund haben für seinen guten Rat, der Polizei zu erzählen, die vermisste Frau gekannt zu haben.
Klinkhammer ereiferte sich, bis das Telefon klingelte. Ines hatte das Mobilteil mit ins Freie genommen, nahm das Gespräch entgegen und winkte ihn heran. Er rammte den Spaten in ein Blumenbeet, hörte ein paar Sekunden lang schweigend zu und stieß einen Fluch aus. «Ich hab’s geahnt, aber Scheib wusste es ja besser.»
Dann ging er ins Haus, wusch sich die Erde von den Händen und den Schweiß von der Haut. Es war ein sehr warmer Tag für Anfang Mai. Er zog die Jeans und das Polohemd über die Shorts, schlüpfte mit nackten Füßen in seine Sandalen. Ines hörte noch die Haustür zuschlagen, den Motor seines Wagens aufheulen und widmete sich endlich dem Manuskript.
Klinkhammer fuhr nach Sindorf. Ein Streifenwagen war bereits dort. Die halbe Nachbarschaft stand auf der Straße und lauschte gespannt. Karens Familie und die Besatzung des Streifenwagens hielten sich im Haus auf. Es herrschte ein lautstarkes Durcheinander. Kevin und Michael stritten im Garten um ein Spielzeug. Jasmin bemühte sich zu schlichten und übertönte die Jungs dabei noch. Christa lief zwischen Wohnzimmer und Terrasse hin und her und forderte wiederholt in hysterischem Ton: «Jetzt gebt endlich Ruhe, das ist ja nicht auszuhalten.» Sarah versuchte, ihre Schwiegermutter zu beruhigen. Die beiden Polizisten hatten alle Hände voll zu tun, Norbert und Marko auseinander zu halten.
Klinkhammer musste viermal klingeln, ehe ihm geöffnet wurde. Nachdem es ihm dann endlich gelungen war, für etwas Ruhe zu sorgen, erklärte Stichler, es bestehe wahrscheinlich kein Grund zur Aufregung, seine Frau sei nicht da. Ihre Handtasche mit Personalausweis und einer stets gut gefüllten Geldbörse, die
Weitere Kostenlose Bücher