Das letzte Opfer (German Edition)
Aber sie hatten nichts von Schmuckstücken gewusst und nicht danach gesucht, nicht nach Winzigkeiten Ausschau gehalten, die in Eile und unter Stress zu Boden gefallen sein könnten, unter ein Möbelstück oder in eine Ecke kullerten und unbemerkt blieben. Es wäre eine grobe Nachlässigkeit gewesen, nicht noch einmal jeden Winkel zu kontrollieren.
Und das war es nicht alleine. Es waren die Stimmen, dieser Widerspruch. Das kann er sich nicht leisten. Ich komme nach! Er musste sich beschäftigen, bis eine der Stimmen schwieg, vermutlich seine eigene. Er hatte sich geirrt, wartete seit Stunden darauf, dass Klinkhammer eine entsprechende Bemerkung machte.
Aber Klinkhammer sagte nur: «Wenn wir einen Durchsuchungsbeschluss haben, wird die Bude vom Keller bis zum Dachboden auseinander genommen. Das ist nicht unsere Aufgabe, Herr Scheib. Und in Ihrer Verfassung, seien Sie mir nicht böse, wenn ich es geradeheraus sage, ich möchte nicht, dass hier später etwas gefunden wird, was jetzt noch nicht da ist.»
«Trauen Sie mir das zu?», fragte er.
Klinkhammer grinste: «Im Moment traue ich Ihnen alles zu. Wir haben eine vermisste Person. Oder zwei, wenn wir Frau Lohmann dazunehmen. Für die sind wir ja auch zuständig. Sie haben acht und wollen ihn für alle. Nun kommen Sie. Ein paar Stunden Schlaf haben noch keinem Menschen geschadet. Ein Hotel brauchen Sie nicht. Wir haben zwei Gästezimmer, sogar ein Gästebad. Sonst quartiert meine Frau immer ihre Leute ein. Wird Zeit, dass ich auch mal einen Gast mitbringe.»
Er nahm überrascht und dankend an. Am Samstagmorgen hatte Klinkhammer nicht nach einer großzügigen Geste ausgesehen. Es war auch keine Großzügigkeit, nur eine Sicherheitsmaßnahme, die verhindern sollte, dass er dem Garten einen nächtlichen Besuch abstattete. Aus einem Hotelzimmer hätte er verschwinden können, ohne dass ihn einer fragte, wohin er ging.
Klinkhammer lotste ihn über nächtliche Straßen in eine kleine Ortschaft. Paffendorf, las er im Vorbeifahren auf der Tafel am Ortseingang. Die Baupreise waren hier wohl erschwinglich, Klinkhammers Haus jedenfalls konnte sich sehen lassen. Den Rest der Nacht verbrachte er in einem gemütlichen Zimmer. Er schlief nicht, lag nur da mit einem Gefühl in der Brust, als würde es ihn innerlich zerreißen.
In der Dunkelheit schwebte ihm ein frisches Grab vor Augen. Und in dem Grab eine junge Frau, die ihrem Mörder nicht nur wie die anderen für einen Tag, die ihm acht lange Jahre vertraut hatte. Sie hat so viel Zeit in ihn investiert wie ich, dachte er und war überzeugt, sie sei tot.
Um halb acht saß er Klinkhammer in einer großen Küche an einem massiven Holztisch gegenüber. Klinkhammers Frau bekam Scheib nicht zu Gesicht. Sie hatte in der Nacht erfahren, welchen Gast ihr Mann mitgebracht hatte. Ausgerechnet den arroganten Typ vom BKA. Mit einer spöttischen Bemerkung hatte sie ihn an seine gestrigen Flüche erinnert. Klinkhammer befürchtete, dass sie auch Scheib ein paar Seitenhiebe verpassen würde. Sie hatte ein lockeres Mundwerk, so wie die Dinge nun standen, musste das nicht sein.
Sie frühstückten ausgiebig, wobei Klinkhammer ausführlich über alles berichtete, was in der Nacht nicht besprochen worden war. Die Beweislage erschien logisch und schlüssig. Jedes Detail belastete Marko. Auch das Motiv war klar. Vor die Wahl gestellt, eine Mordzeugin der Polizei zu überlassen oder sich selbst in die Klemme zu bringen, hätte auch Scheib seiner eigenen Prognose zuwider gehandelt und sich für Letzteres entschieden. Nur hätte er nicht so überstützt gehandelt, weder das Blut auf dem Rasen noch die Diskette im Computer übersehen.
Marko
Um neun Uhr saßen sie ihm wieder gegenüber. Er war bis um drei in der Nacht vernommen worden, hatte dem Anschein nach auch nicht geschlafen, wirkte übernächtigt, die Haut war fahl, die Miene angespannt und sehr besorgt. Scheib hielt sich zurück, beobachtete nur und hörte zu, damit ihm nicht noch einmal ein entscheidender Satz entging. Klinkhammer übernahm das Reden, doch in der Hauptsache sprach wieder Marko. Noch einmal seine Unschuld zu beteuern, ersparte er sich, wollte nur wissen: «Wo ist meine Frau?»
«Sagen Sie es uns», verlangte Klinkhammer.
«Sie haben also gar nicht nach ihr gesucht», stellte Marko fest, kniff wie unter Schmerzen die Augen zusammen, zog die Lippen ein. Ein paar Sekunden vergingen, dann rollten einige Tränen. Er weinte, aber nicht lange, dann fuhr er schweres Geschütz auf.
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