Das letzte Opfer (German Edition)
«Sollte sich herausstellen, dass meine Frau zu retten gewesen wäre, wenn Sie sofort das Richtige unternommen hätten, werden Sie Ihres Lebens nie mehr froh, das schwöre ich Ihnen.»
«Was wäre denn Ihrer Meinung nach das Richtige gewesen?», fragte Klinkhammer.
«Eine Suche», erklärte Marko. Seine Stimme klang erstaunlich fest, trotz seiner offensichtlichen Erschütterung und der Tränen, die er mit einer energischen Geste von den Wangen wischte. «Wenn meine Frau von den Nachbarn nicht gesehen wurde, vielleicht wollte sie nicht gesehen werden, als sie das Haus verließ.» Er spielte wieder auf eine Suizidgefährdung an.
«Und warum haben Sie darauf bestanden, das Haus zu verlassen?», fragte Klinkhammer. «Um Ihrer Frau eine Gelegenheit zum Selbstmord einzuräumen? Geben Sie sich keine Mühe, Herr Stichler, wenn Ihre Frau sich hätte umbringen wollen, hätte sie einen Abschiedsbrief getippt. Und wenn sie wirklich depressiv gewesen wäre, ein ehrlich besorgter Mann hätte darauf Rücksicht genommen. So ein Mann hätte sich zumindest vergewissert, dass seine Frau sich einen schönen Tag mit ihrer Familie macht.»
«Dass ich es nicht getan habe, werde ich mir nie verzeihen», sagte Marko.
«Dann sage ich Ihnen mal, was ich mir nicht verzeihe», sagte Klinkhammer. «Dass ich Ihre Frau nicht gleich am Mittwochnachmittag kassiert habe. Ich hätte sie in Schutzhaft nehmen sollen, das macht man üblicherweise mit Zeugen, die sich in Gefahr befinden. Leider kann man es nur mit dem Einverständnis dieser Zeugen tun, so will es der Gesetzgeber. Wenn eine Frau ihrem Mörder vertraut, sich sogar für seine Unschuld verbürgt, sind uns die Hände gebunden. Wissen Sie, was der Witz bei der Sache ist, Herr Stichler? Sie wären nicht hier, wenn Sie Ihrer Frau vertraut hätten. Wäre sie nicht verschwunden, hätten wir uns nicht mit Herrn Dierden unterhalten.»
Klinkhammer konfrontierte ihn zuerst mit Norberts Angaben zu Anja Heckel, Julia Roberts und Waltraud Habel, legte ihm auch den zerknitterten Schnappschuss von Mei Li Jau vor.
Marko lächelte dünn. «Und Ihnen ist bisher nicht der Verdacht gekommen, dass Norbert mir etwas in die Schuhe zu schieben versucht, um von sich abzulenken?»
«Bisher nicht», sagte Klinkhammer. «Er hat seiner Schwester kein hellgraues Kostüm mit knielangem Rock geschenkt, bei dem der Gürtel fehlte. Diesen Gürtel trug nämlich eine Frau um den Hals, deren Leiche im Oktober 1996 im Spessart gefunden wurde. Am Tag ihrer Ermordung trug diese Frau auch Ohrstecker und einen Ring aus Platin. An der Leiche fehlte der Schmuck. In der Kassette Ihrer Frau liegt er auch nicht mehr.»
«In der Kassette meiner Frau hat dieser Schmuck nie gelegen», erklärte Marko. «Ich habe ihn im Oktober 1996 gekauft – bei einem Juwelier in Köln. Die Rechnung finden Sie im Arbeitszimmer, in einem Aktenhefter mit der Aufschrift Sonstiges. Graue Kostüme habe ich meiner Frau mehrere aus der Agentur mitgebracht. In Katalogen gibt es selten den passenden Gürtel zu einem Kleidungsstück.»
Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander, als richte er sich auf eine Plauderstunde ein. Dann drehte er den Spieß um, wie Norbert es angekündigt hatte. Wenn der Ring und die Ohrstecker nicht mehr in der Kassette lägen, müsse Norbert die Sachen entfernt haben, meinte er. Immerhin sei Norbert am vergangenen Nachmittag vor ihm im Haus gewesen. Und wenn Norbert wusste, dass ähnliche Schmuckstücke in einem Mordfall eine Rolle spielten, machte das Sinn. Norbert hatte sich vor Jahren auch oft genug in der Agentur aufgehalten, sich genügend Kenntnisse über Mode und Film aneignen können, um Frauen wie Julia Roberts zu ködern. Und in den frühen Fällen, Silvia Lenz und Marion Schneider, hatten Autos eine Rolle gespielt, das war Norberts Metier.
Marko hatte sich nach dem Geburtstag seines Sohnes auch die Ausgabe des Stern gekauft und sich informiert. Aber er fand, es sei nicht seine Aufgabe, herauszufinden, ob Norbert oder sonst wer all diese Frauen getötet hatte. Für ihn zählte nur, was seiner Frau angetan worden war. Sein Ton veränderte sich, bekam einen Hauch von Bitterkeit. In all den Jahren hatte es für ihn so ausgesehen, als sei die Beziehung der Geschwister herzlich und intakt. Erst nach den Tränenausbrüchen seiner Frau seien ihm ein paar Ungereimtheiten bewusst geworden.
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