Das letzte Opfer (German Edition)
beim Vornamen. Sie sprach mich an, nachdem Li sich einmal mit Karen in Köln getroffen hatte. Ich solle ein bisschen auf meine Schwester aufpassen. Bei der Gelegenheit erwähnte sie den Modefuzzi. Und ich dachte, Li will Karen überreden, mitzukommen. In der Diskothek tönte sie herum, man hätte ihr einen tollen Job in Rom angeboten.»
Der Hinweis auf Rom elektrisierte Scheib. Wie 1984 bei Elisabeth Brandow und 1992 bei Marion Schneider. Damit wurde Mei Li Jau plötzlich brandaktuell. Dass ein Zugvogel ominöser Herkunft nicht so recht in den Kreis der Opfer passte, wurde auch zweitrangig, als Norbert ein zerknittertes Amateurfoto aus der Hemdtasche zog. Er legte es auf das Feld mit dem Fragezeichen, sodass es die Gesichter von Marion Schneider und Julia Roberts teilweise verdeckte.
«Das war im Sommer 88», erklärte er. «Da hatte ich für drei Wochen das Vergnügen, weil sie eine Bleibe brauchte und in Köln noch nicht viele Leute kannte, in dem Jahr war sie das erste Mal hier. Aber Camping war nicht lange nach ihrem Geschmack. Danach war sie mit Kolbe zusammen bis zum Herbst. Da zog es sie in den Süden. Im Frühjahr 89 kam sie zurück. Kolbe saß im Knast, sie kroch bei einem Onkel unter, in der Eifel, hat sie jedenfalls erzählt. In dem Jahr hat sie nicht in der Diskothek gearbeitet, die Fahrerei war ihr zu umständlich. Sie war nur ein paar Mal so da. Im Oktober wurde es ihr wieder zu kalt. Im Mai 90 war sie wieder da. Deshalb hat sich kein Mensch was gedacht, als sie im September zum dritten Mal verschwand und nicht wieder auftauchte.»
Scheib betrachtete das alte Foto. Es zeigte eine bildschöne junge Frau in knappen Shorts, mit blankem Busen neben einem Wohnwagen. Die asiatischen Züge suchte man in ihrem Gesicht vergebens. Mit ihrem dunklen Teint hätte man sie für eine jüngere Ausgabe von Sabine Bergholt halten können.
Norbert zündete sich eine Zigarette an, hielt auch Klinkhammer die Packung hin. Der bediente sich mit knappem Dank und zückte sein Feuerzeug. Nachdem beide Zigaretten brannten, kam Norbert auf die verhängnisvolle Fahrt seiner Schwester und den nackten Mann im Teich zu sprechen.
«Karen muss einen Mann gesehen haben, der eine gewisse Ähnlichkeit mit mir hatte, weil sie bei dem Bauer jammerte, ich wolle sie umbringen. Damals erschien mir das logisch, dass sie Angst vor mir hatte, meine ich. Ich hätte ihr schon den Kopf zurechtgesetzt, wenn sie heil zurückgekommen wäre. Wer bei dem Unfall hinter ihr war, haben wir nicht sofort erfahren. Anfangs hieß es nur, ein Zeuge. Ich habe Marko erst in der Verhandlung gesehen. Da hat mir keiner geglaubt, dass er sie gejagt haben könnte.»
Er streifte Asche von seiner Zigarette und fuhr mit belegter Stimme fort: «Sie kann ihn nicht unmittelbar vor einer Kurve überholt haben, wie er behauptet hat. Sie muss vor ihm gewesen und kann zuerst nicht schneller als siebzig gefahren sein. Den Taunus konnte man im dritten Gang bis neunzig bringen, aber dann wurde er sehr laut. Sie hat wohl erst drauf getreten, als der Penner hinter ihr auftauchte. Der musste sich ja erst noch anziehen, ehe er die Verfolgung aufnehmen konnte.»
«Welchen Wagen fuhr er damals?», fragte Scheib.
Norbert zuckte mit den Achseln. «Ich hatte ihn ewig nicht gesehen und fast vergessen, dass er existierte. Karen sagte, da hätte ein rotes Auto gestanden. Der Bauer, mit dem habe ich gestern Abend noch mal gesprochen, und er meinte, es wäre ein weißes gewesen. An die Marke erinnerte er sich nicht.»
Während er weitersprach, zog er den Modekatalog unter dem Wochenmagazin hervor und schlug eine Seite mit Bademoden auf. «Aber Marko trug einen Jogginganzug, als er auf den Acker stürmte. Das wusste der Bauer noch.»
Sein Fingerzeig auf die Badenixe war überflüssig. Die Abbildung fiel zwischen den Frauen in Bikinis und Badeanzügen schon deswegen auf, weil Karen pitschnass vor einem verschwommenen, grün-blauen Hintergrund stand. «Die Aufnahmen wurden zwei Jahre nach dem Unfall gemacht, im September 92. Danach kam sie in einem viel zu großen Jogginganzug nach Hause. Er hatte auch Handtücher im Auto. Meinen Vater erzählte er, sie wäre ins Wasser gerannt, ehe er es verhindern konnte, dann hätte sie gebrüllt, er solle sie endlich ersäufen. Das wollte er und war darauf vorbereitet, so sehe ich das heute. Fragen Sie mich nicht, warum er es nicht getan hat. Wenn ihr damals etwas passiert wäre, in der Verfassung, in der sie war, da hätte sogar ich geglaubt, sie hat
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