Das letzte Opfer (German Edition)
nicht bedrängt fühlte von ihm. Wie hatte er das ausgehalten? Bis zur Erschöpfung um das Leben eines Mädchens gekämpft, das für ihn wie eine Schwester gewesen war, und sich nächtelang unter dieses Foto gelegt?
Nachdem Kevin endlich eingeschlafen war, saß sie noch lange mit Margo zusammen. Margo beruhigte sich allmählich, erkundigte sich nach ihrem Termin. Sie dachte an den Frauenarzt, hatte von Marko gehört, es sei vielleicht wieder ein Kind unterwegs.
«Das war eine Notlüge», erklärte sie. «Ich besuche seit ein paar Wochen einen Therapeuten.»
Zuerst reagierte Margo, als sei das eine selbstverständliche Sache. «Und da weine ich dir auch noch den Kopf voll. Entschuldige, Karen.» Dann stutzte Margo, betrachtete sie nachdenklich. «Und warum weiß Marko nichts davon? Meinst du, er hätte kein Verständnis?» Sie kam nicht zu einer Antwort. Margo sprach gleich weiter: «Es wäre nicht nötig gewesen, ihm das zu verschweigen. Ihn mit einer Schwangerschaft zu belügen, war auch keine gute Idee. Er zerbricht sich den Kopf, ob das Kind von ihm ist. Du solltest ihm so schnell wie möglich die Wahrheit sagen und die Pille absetzen. Er wünscht sich ein zweites Kind, damit kommt das bestimmt wieder in Ordnung.»
«Ich wünsche mir aber kein drittes», sagte sie.
«Warum nicht?» Plötzlich klang Margo ängstlich. «Habt ihr Probleme? Du kannst offen sein, Karen, ich verstehe es bestimmt. Du bist jung und viel allein. Ist Therapeut vielleicht nur die Bezeichnung für einen anderen Mann?»
«Nein», sagte sie nachdrücklich. «Allein sein macht mir nichts aus, das habe ich von meiner Mutter gelernt. Ich könnte Marko gar nicht betrügen. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, mich von einem anderen Mann anfassen zu lassen.»
Es war schon ein Uhr vorbei, als sie endlich zu Bett gingen. Margo hatte sich mit dem Wein die Grundlage für einen tiefen Schlaf verschafft. Karen lag noch lange wach, grübelte über Rabeas Tod, Markos vergebliche Bemühungen und sein merkwürdiges Verhalten. Was Doktor Gerber wohl dazu sagen würde?
Oliver
Während Karen sich am Dienstagmorgen aus den Beständen der Agentur etwas zum Anziehen heraussuchte, steuerte Oliver Lohmann seinen Peugeot vor die Ausfahrt der Familie Leitner, um ein Gespräch zu erzwingen. Er war übers Osterwochenende mehrfach zwischen Pöcking am Starnberger See, wo er mit viel Fragerei das Ferienhaus ausfindig gemacht hatte, und dem Anwesen in München hin und her gefahren, hatte weder seine Schwester noch Stefan Leitner oder dessen Eltern zu Gesicht bekommen. Es hatte niemand reagiert, wenn er in München Sturm geklingelt oder sich in Pöcking die Fäuste wund geklopft hatte. Nun erwischte er Leitner senior, als dieser das Grundstück verlassen wollte, um zu seiner Kanzlei zu fahren.
Der Anwalt bedauerte, die am Ostersamstag erteilte telefonische Auskunft sei leider falsch gewesen. «Als ich mit Ihnen sprach, wusste ich es nicht besser», sagte er. «Ich habe erst am frühen Abend erfahren, dass Ihre Schwester die Beziehung zu meinem Sohn beendet hat. Um siebzehn Uhr wurde sie zurück zu dieser Raststätte gebracht.»
Möglicherweise hatte Oliver sich zuvor mit der Zeitangabe seiner Abfahrt aus Edenbergen verplappert. Dass es an der Raststätte Zeugen gegeben hatte, auch einen, der den schwarzen Alfa Romeo um die Mittagszeit hatte abfahren sehen, war Leitner senior zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht bekannt. Er behauptete, seine Frau sei gefahren, weil man eine Aussprache in Ruhe gewährleisten und anschließend verhindern wollte, dass der verzweifelte Junge in seinem Kummer eine Dummheit machte.
Den Worten seines Vaters zufolge hatte Stefan das gesamte Wochenende in seinem Zimmer verbracht und der verlorenen Liebe nachgetrauert. Er sei immer noch nicht ansprechbar, erklärte Leitner senior und hielt es nicht für sinnvoll, den aufgebrachten Bruder der jungen Frau ins Haus zu lassen. «Ihre Schwester wird längst zu Hause sein und sich Sorgen um Sie machen», meinte er. «Mein Sohn sagte, sie sei an der Raststätte erwartet worden.»
Wenn seine Behauptungen zutrafen, musste man sich fragen, warum in den Ostertagen kein Mitglied der Familie auf Olivers Bemühungen reagiert hatte. Wenn sie alle zu Hause gewesen waren, wäre eine Betätigung der Gegensprechanlage das Mindeste gewesen. Doch so weit dachte Oliver nicht.
Für kurze Zeit schöpfte er Hoffnung, nahm an, er habe Barbara in Edenbergen knapp verpasst. Aber Norbert hatte warten wollen. In
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