Das letzte Opfer (German Edition)
herumgehen könnte, ohne dass er sie bemerkte. Es wäre ihr peinlich gewesen, wenn er sie ertappt hätte. Da war ein kleiner Zaun, nur ein paar Drähte, sie hätte hinübersteigen und mitten durch die Enten gehen müssen.
Viele der Küken, die fast schon keine richtigen Küken mehr waren, wuselten aufgeregt herum, als ob sie Angst vor dem Mann hätten. Die ausgewachsenen Tiere auf dem Wasser umschwammen ihn in weitem Bogen. Und plötzlich schnappte er sich eine Ente, drehte ihr den Hals um. Die anderen Tiere ergriffen die Flucht, sie auch. So schnell sie konnte rannte sie am Bach entlang, hörte das Geschnatter der Enten, ihr Flattern in der Luft, die Schritte des Mannes und sein Keuchen hinter sich.
Er rief etwas und kam näher. Und sie kam aus der Kristallkugel nicht raus, bis Klinkhammer hineingriff mit einer riesigen Hand. Sie war nur ein Püppchen, das die Hand in den Ford Taunus setzte.
Dann fuhr sie – wie durch einen Tunnel. Sie sah keine Straße, keine Kurve, keine Autos, keinen Radfahrer, nur Enten, die wild ums Auto herumflatterten. Eine prallte auf die Motorhaube, eine andere flog mit Wucht gegen die Windschutzscheibe und hinterließ den blutigen Schmierstreifen. Das Auto schlingerte gewaltig, drohte außer Kontrolle zu geraten. Sie trat das Gaspedal durch bis zum Anschlag. Der Ford fing sich wieder und raste geradeaus weiter.
Sie hielt den Blick konzentriert nach vorne gerichtet, entdeckte den Traktor auf dem Kartoffelacker und wollte nur noch zu dem Mann, der diesen Traktor fuhr. Mit hundertzwanzig Sachen von der Straße ins Feld, ohne zu bedenken, was dabei passieren könnte. Für den Bruchteil einer Sekunde war es, als sei sie gegen eine Mauer gefahren, dann kippte die Welt auch schon. Dreimal überschlagen, es war schlimmer als Achterbahn fahren. Aber sie war nicht mehr allein.
Der Landwirt griff durch die zerborstene Seitenscheibe, durchtrennte mit einem Taschenmesser die Gurte, zog sie ins Freie. Und jetzt war es wieder Klinkhammer. Sie klammerte sich an ihn und bettelte: «Norbert bringt mich um. Helfen Sie mir. Bitte, helfen Sie mir. Ich will nicht sterben.»
«Ist ja gut», murmelte Klinkhammer und nahm sie in den Arm. «Es ist alles gut. Ganz ruhig, Schatz. Norbert wird dir nichts mehr antun. Dafür sorge ich.» Es war nur Marko, er hielt sie die ganze Nacht fest, schlief selbst wohl gar nicht.
Nach dem Frühstück am Donnerstagmorgen fuhr er zuerst nach Köln. In der Agentur war etwas Dringendes zu erledigen. Danach wollte er zur Polizei. Er nahm Kevin mit, weil sie sich so elend fühlte. Sie sah immer noch eine Ente auf die Motorhaube prallen und die zweite gegen die Scheibe fliegen. Das war wohl der Radfahrer gewesen.
Christa sagte immer: «Träume sind Schäume.» Dieser nicht!
Karen war sicher, dass sie in etwa das geträumt hatte, was vor zehn Jahren geschehen war. Ein romantisches Fleckchen erreicht, viel zu spät oder das falsche. Statt Li und einen, mit dem sie bis um vier Uhr zu tun gehabt hatte, nur einen nackten Mann angetroffen.
Es musste ein Obdachloser gewesen sein, der seine Kleider wusch und sich sein Abendessen besorgte. Obdachlose fuhren zwar keine Autos, aber wenn jemand ein schrottreifes Fahrzeug in der Wildnis entsorgt hatte, schliefen sie darin. Vielleicht war er hinter ihr hergerannt, als er bemerkte, dass sie ihn begaffte. Vielleicht hatte er sie zur Rede stellen wollen, was ihr einfiele, ob ihre Mutter ihr kein Schamgefühl beigebracht hätte, so wie die alte Frau mit dem kleinen Hund im Januar 1988 gefragt hatte.
Und dafür hatte sie einen Mann getötet. Und die Polizei belogen. Sie hatte Angst, dass ihr gestriges Verhalten für Marko üble Folgen haben könnte. Doch das war anscheinend nicht der Fall. Kurz vor Mittag kam er zurück, hatte mit Klinkhammer gesprochen und meinte, er sei ein vernünftiger Mann, habe ihre Reaktion verstanden und sogar gefragt, ob er Anzeige gegen die alte Frau erstatten wolle, die unwahre Behauptungen aufstellte. Aber darüber lachte er nur.
«Ich wüsste nicht, was ich zur Anzeige bringen soll. Solange Barbara Lohmanns Leiche nicht auftaucht, ist es Irreführung der Polizei und nicht meine Sache. Und wenn man sie findet, wird sich zeigen, dass ich nichts damit zu tun habe. Also vergessen wir es.» Er nahm die Zeichnungen vom Tisch und zerriss sie, schaute sie nachdenklich an. «Und das hier vergessen wir auch, nicht wahr? Ich glaube, es war keine gute Idee.»
Sie nickte nur, er deutete auf Kevin. «Ich kann ihn nicht noch
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