Das letzte Opfer (German Edition)
damit begann, dass sie im Garten ein Loch aushob, um das Wochenmagazin mit all den Frauen und dem Fragezeichen zu begraben. Über den Zaun unterhielt sie sich mit der Nachbarin, die fragte, warum sie es nicht Marko überließ. Dann klingelte es, vor der Tür stand Klinkhammer – allein. Er hielt eine Kristallkugel in der Hand wie ein Wahrsager und wollte wissen, wie viele nackte Männer sie schon gesehen hatte.
«Nur einen», sagte sie. «Meinen Mann.»
Klinkhammer lächelte ungläubig. «Oder zwei», korrigierte sie. «Meinen Bruder habe ich natürlich auch mal nackt gesehen, aber nur, als ich noch klein war.»
«Wir können es mit Hypnose versuchen», schlug Klinkhammer vor, ging ins Wohnzimmer, stellte die Kristallkugel auf den Tisch und forderte sie auf, hineinzuschauen.
Zuerst sah sie nur eine der Zeichnungen, die Marko für den neuen Teich angefertigt hatte. Dann wurden die Bleistiftstriche allmählich bunt. Es entstand eine Miniaturlandschaft mit einem Teich in der Mitte, viel Grün drum herum – und wilde Enten. Ein paar ausgewachsene Tiere schwammen in Ufernähe. Li kam aus dem Garten herein, warf ebenfalls einen Blick in die Kugel und meinte: «Ein romantisches Fleckchen.» Dann sagte sie zu Klinkhammer: «Der Typ quatscht ständig von Rom!»
Und Klinkhammer antwortete: «Sie sollten nicht lachen, wenn ein Mann es ernst mit Ihnen meint.»
Li lachte trotzdem. «Diese verliebten Jungs können aber ganz schön nerven mit ihren wilden Geschichten. Da esse ich doch lieber Karotten.» Dann ging sie zurück in den Garten, nahm das Wochenmagazin aus dem Dreck, rief noch: «Da fehlt eine!», und stieg auf den Zaun, um ihren Flieger nach China zu erreichen, der gerade über den Garten flog und eine Strickleiter herabließ.
Und im selben Moment tauchte in der Kristallkugel mitten im Wasser ein nackter Mann auf. Er stand gebückt und wusch ein Kleiderbündel. «Das ist nicht mein Bruder», sagte sie. «Norbert musste seine Sachen nie selber waschen. Das macht Christa.»
«Schauen Sie genau hin», verlangte Klinkhammer.
Aber in der Kugel war nichts Genaues zu erkennen. Sie sah einen Bach, nicht viel breiter als ein Strich mit einem Kugelschreiber, und zwischen den Büschen am Ufer etwas Rotes. Ein Auto. «Das ist nicht Christas Benz», sagte sie. «Es ist viel kleiner. Die Farbe stimmt auch nicht, das sieht ja aus wie Blut.»
«Aber Ihrer Freundin gehört es nicht», behauptete Klinkhammer. «Li hatte kein Auto, keine Wohnung, kein eigenes Bett, nichts, was regelmäßige Kosten verursacht, nur die Kleider in einem Koffer. Preiswertes Leben nannte sie das.»
«Das weiß ich», erwiderte sie. «Mein Bruder sagte, sie sei ein Zugvogel, den es jeden Winter in den Süden zieht. Aber sie wollte nicht nach Rom.»
«Ich weiß», sagte Klinkhammer. «Und Ihr Bruder mochte Li nicht, weil sie viele nackte Männer gesehen hat. Nun schauen Sie sich den nackten Mann einmal genau an. Das ist interessant für ein junges Mädchen.»
«Ich bin aber an nackten Männern gar nicht interessiert», sagte sie noch. Da schnipste Klinkhammer mit den Fingern. Und plötzlich war sie in der Kugel, hörte das Plätschern. Es kam nicht vom Bach, das Wasser lief lautlos über große Steine. Sie ging am Ufer entlang, dem Plätschern entgegen, bis sie den Teich mit den Enten vor sich sah. Von dem kleinen, blutroten Auto sah sie nichts mehr. Sie war auf der falschen Seite des Bachs ausgekommen. Das Auto stand verdeckt hinter den Büschen am gegenüber liegenden Ufer. Das wusste sie, weil sie es vorher in der Kristallkugel gesehen hatte. Aber das Auto interessierte sie nicht. Sie war nur noch neugierig auf den nackten Mann. Leider konnte sie nicht viel erkennen.
Er stand mit dem Rücken zu ihr, immer noch gebückt, zerrte das Kleiderbündel an seinen Beinen hoch, drückte es wieder ins Wasser, so wie früher Wäsche auf einem Waschbrett geschrubbt worden war. Damit verursachte er das Plätschern, aus der Nähe platschte es richtig.
Sie wollte ihn fragen, ob Li hier gewesen sei bis um vier Uhr, und ob er vielleicht wisse, wohin sie anschließend gefahren sei. Aber sie glaubte nicht, dass er ihr das sagen konnte. Es war auch nicht mehr wichtig. Es gab keine Angst um Norbert in ihrem Traum. Li war doch längst weg, an einer Strickleiter in den Flieger nach China gestiegen.
Es war nur faszinierend, den nackten Mann zu beobachten, das Spiel seiner Muskeln. Sie hätte ihn auch gerne einmal von vorne gesehen und überlegte, wie sie um den Teich
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