Das letzte Opfer (German Edition)
einmal mitnehmen. Ich habe eine Menge zu tun. Und Margo ist in Berlin. Ich fahre euch rasch zu Christa.»
«Nein, es geht schon», sagte sie. «Er kann im Garten spielen.»
«Es geht nicht darum, wo er spielt», sagte Marko. «Es kann sein, dass die Polizei noch einmal kommt, um dich zu befragen. Ich möchte nicht, dass du in diesem Zustand belästigt wirst.»
«Ich werde niemandem öffnen», versprach sie.
Marko zögerte, schaute sie zweifelnd an. Erst als sie ihr Versprechen wiederholte, sogar schwor, nicht an die Tür zu gehen, gab er nach.
Kaum hatte er das Haus wieder verlassen, nörgelte Kevin über furchtbare Langeweile. Er wollte zu Oma Christa gehen und mit Michael spielen, etwas essen, aber kein Gemüse. Er ging ihr entsetzlich auf die Nerven. «Lass mich in Ruhe!», schrie sie. «Lass mich um Gottes willen in Ruhe, du Quälgeist, sonst erlebst du dein blaues Wunder.»
Er schaute sie verunsichert an. So eine Reaktion kannte er nicht von ihr. «Bist du krank?», erkundigte er sich.
Als sie nicht antwortete, holte er seine Bausteine. Mindestens zwanzigmal lief er die Treppe hinauf und hinunter, ehe er genug beisammen hatte, um sich auf der Terrasse zu beschäftigen. Lange tat er das jedoch nicht. Schon nach wenigen Minuten trieb es ihn zu den Regentonnen. Wieder und wieder lief er mit der Gießkanne hin und her, verwandelte die Grube in ein Schlammloch, goss auch die ausgehobene Erde drum herum. Zu guter Letzt nahm er den Spaten und hantierte damit im Matsch.
Sie konnte sich nicht aufraffen, ihm das zu verbieten. Das hätte auch nichts genutzt. Sie hätte hinausgehen und ihm den Spaten wegnehmen müssen. Das schaffte sie nicht. Sie konnte überhaupt nichts tun. Der Frühstückstisch war noch nicht abgeräumt, die Betten nicht gemacht, das Bad nicht gewischt. Sie dachte unentwegt, was sie alles tun müsse, und kam nicht von der Couch hoch.
Draußen wurde die Stimme der Nachbarin laut und verscheuchte Kevin von der Grube. «Legst du wohl sofort den Spaten hin, du Lümmel! Du machst der Mami ja alles kaputt. Sieh mal, was für eine Sauerei du gemacht hast. Den ganzen Dreck auf dem Rasen verteilt, wenn das der Papa sieht …» Sie sprach, als hätte sie gestern nichts mitbekommen. Aber selbst wenn sie nicht gesehen hatte, dass ein Polizist die Erde verteilt hatte, konnte sie kaum annehmen, ein Dreijähriger habe diese Verwüstung angerichtet. «Wo ist Mami?», fragte sie.
Kevin zeigte wortlos zum Wohnzimmer. Karen saß auf der Couch, so in der Ecke, dass die Nachbarin sie nicht sehen konnte. Kevin kam zurück auf die Terrasse, so dreckig, wie er noch nie gewesen war. Er machte sich leise maulend wieder über seine Bausteine her. Die Nachbarin rief nach ihr, vermutete sie nach seiner stummen Geste offenbar irgendwo im Haus. Als sie nicht reagierte, sagte Kevin: «Mama ist krank. Aber ich darf in Garten spielen.»
«Was fehlt Mami denn?», erkundigte sie sich besorgt.
Kevin zuckte nur mit den Achseln. Die Nachbarin zählte ein paar Beschwerden auf, Husten, Schnupfen, Kopf- oder Halsschmerzen, fragte endlich: «Und was ist mit der Probe morgen Abend?»
Kevin hob erneut die Achseln, ließ sie wieder sinken. Draußen wurde es still. Er spielte eine Weile, kam dann ins Wohnzimmer. Die Erde an seinen Schuhen war erst teilweise getrocknet, bei jedem Schritt hinterließ er Lehmbröckchen und Abdrücke auf dem Fußboden. «Kochst du mir süße Knödel mit Soße?», fragte er.
«Nein», sagte sie. «Ich koche heute gar nicht. Wenn du etwas Süßes haben willst, nimm dir etwas.»
Das ließ er sich nicht zweimal sagen, trug den Dreck weiter in die Küche, versorgte sich mit einer Tafel Schokolade und einer Tüte Gummibärchen. Sie hatte ein entsetzlich schlechtes Gewissen, aber nicht einmal das brachte sie von der Couch hoch.
Auch der Türgong schaffte das nicht. Es klingelte kurz nach drei. Sie dachte, es wäre wieder Klinkhammer, und sie hatte Marko ja geschworen, nicht zu öffnen. Als sie sich nicht rührte, rannte Kevin in die Diele und riss die Tür auf. Im nächsten Moment hörte sie Christas Stimme. «Wie siehst du denn aus? Wo ist Mama? Spielt sie wieder am Computer?»
Ehe Kevin die Portion Gummibärchen hinunterschlucken und antworten konnte, stand Christa schon im Wohnzimmer. Marko hatte sie angerufen und gebeten, einmal nach ihr zu schauen. Christa umfasste die Situation mit einem Blick, runzelte die Stirn und bekam diesen vorwurfsvollen Ausdruck in die Augen. Ein mit Schokolade verschmierter und
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