Das letzte Opfer (German Edition)
sich nämlich erneut gemeldet.
Marko Stichler hatte in Bergheim seine Version der Begegnung im Wald zu Protokoll gegeben, Karens Urlaubslüge zurückgenommen und mit ihrem schlechten Gewissen begründet, weil sie sich geweigert hatte, ihn zusammen mit dem kleinen Sohn auf dieser Fahrt zu begleiten. Ihre Verwirrung und die alarmierenden Auskünfte erklärte er ebenfalls – den Tatsachen entsprechend.
Mit fünfzehn vergewaltigt, das Ergebnis wurde im September zwölf Jahre alt und wuchs bei seiner Großmutter auf. Mit achtzehn eine junge Chinesin kennen gelernt, die ebenfalls trübe Erfahrungen gemacht hatte, den Vergewaltiger kannte und töten wollte. Karen brach auf, um den Mord am Vater ihrer Tochter zu verhindern, und überfuhr in ihrer Panik einen alten Mann. Genaue Angaben zu Unfallort und Zeit machte Marko nicht. Er verschwieg auch, welche Rolle er dabei gespielt hatte.
Stattdessen sagte er: «Meine Frau hat diese Ereignisse lange Zeit völlig verdrängt. Bis gestern Abend kannte ich nur harmlose Versionen der Geschichte. Als dann Polizei erschien, wurde die Wahrheit wohl übermächtig.»
Er bat, seine Frau nicht noch einmal zu behelligen. Zum Ostersamstag könne sie keine Angaben machen. Welche Auswirkungen es auf ihre labile Psyche habe, sollte man sie wegen der Vergewaltigung oder dem Unfall bedrängen, wage er nicht abzuschätzen. Er bezeichnete Karen als suizidgefährdet. Und es sei ja lange her.
Das spielte für Klinkhammer keine Rolle. Mord verjährte nicht. Er war immer noch überzeugt, dass Karen Zeugin eines Mordes geworden und selbst bedroht worden war. Und er war fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.
Doch damit war Scheib nicht einverstanden. Er hielt umgehend Rücksprache mit Klinkhammer, der sich zuerst lang und breit über seine Begegnung mit Karen und seinen persönlichen Eindruck von Marko Stichler ausließ, ehe er zum aktuellen Geschehen kam. «Er wollte mir seinen Wagen gleich hier lassen, auf freiwilliger Basis. Er meinte nur, ich müsse ihm ein Ersatzfahrzeug stellen für die Dauer der Spurensuche.»
Dass die Polizei nicht über Mietwagen verfügte, die sie bei Bedarf verleihen konnte, dürfte Marko bekannt gewesen sein. Für Klinkhammer war das Angebot ein Zeichen unbeschreiblicher Arroganz, damit hatte Marko sich sämtliche Sympathien bei ihm verscherzt. Ebenso gut hätte er sagen können: «Ich hatte genug Zeit, mein Auto gründlich zu reinigen. Jetzt könnt ihr es auseinander nehmen, da findet ihr nichts mehr.»
«Ihm schien vor allem daran gelegen, die Polizei von seiner Frau fern zu halten», erklärte Klinkhammer weiter. «Er bat mich, ihn in seiner Agentur aufzusuchen, falls es noch Fragen gäbe. Damit seine Frau keinen Schaden nähme, am Ende auf den Gedanken käme, sich polizeilichen Ermittlungen auf endgültige Weise zu entziehen. Suizidgefährdet kam sie mir nicht vor. Sie hatte einen massiven Aussetzer. Aber für eine psychisch Kranke fing sie sich zu schnell. Ich bin sicher, dass sie Barbara Lohmann kannte – und auch diese Julia Roberts. Warum bringt sie die sonst ins Gespräch? Ich werde nochmal mit ihr reden.»
Julia Roberts! Das hallte Scheib sekundenlang in den Ohren. «Nein», verlangte er nachdrücklich. «Sie lassen die Frau in Ruhe. Sie tun vorerst gar nichts.»
Ob der Befehl ihn verärgerte oder er sich daran halten würde, ließ Klinkhammer nicht erkennen. Dass er mit einem BKA-Sonderermittler sprach, war ihm noch nicht bekannt. Er musste annehmen, die Münchner Kripo wolle ihn an eigenen Nachforschungen hindern, und dazu waren sie nicht berechtigt.
Er wurde förmlicher: «Stichler erklärte, er sei am Ostersamstag gegen sechzehn Uhr an einer Raststätte gewesen, um zu tanken. Wie die Raststätte hieß, wusste er nicht mehr. Aber das müsse aus seiner nächsten Kreditkartenabrechnung hervorgehen. Eine junge Frau habe er nicht mitgenommen, das täte er aus Prinzip nicht. Er habe es auch nicht nötig, sich mit Frauen zu verabreden, sei glücklich verheiratet und so weiter.»
Die unerfreuliche Begegnung im Wald hatte Marko natürlich anders geschildert als Anni Weingräber. Er habe gerade den Ersatzreifen aufgezogen, telefonierte mit Frau und Sohn, da sei dieses alte Paar gekommen. Die Frau habe sich vor ihm aufgebaut wie die göttliche Gerechtigkeit, der Mann versucht, sie durch Zupfen an ihrem Arm zum Weitergehen zu animieren, vergebens.
Noch während er mit seinem Sohn gesprochen habe, hätte sie ihn angekeift. Das sei ein Weg für
Weitere Kostenlose Bücher