Das letzte Opfer (German Edition)
gar nichts», sagte sie. «Ich möchte Ihnen nur erklären, warum ich am Mittwoch so durcheinander war und Sie mit unserem Urlaub belogen habe. Und ich möchte nicht, dass mein Mann oder sonst jemand etwas von diesem Gespräch erfährt. Können Sie es vertraulich behandeln?»
«Das hängt vom Gespräch ab», antwortete Klinkhammer. «Noch weiß ich ja nicht, was Sie mir erklären wollen. Aber egal, was es ist, Ihrem Mann muss ich nicht sagen, von wem ich es erfahren habe. Möglicherweise muss ich mit Kollegen sprechen, das werden wir sehen.»
«Ja», sagte sie und begann mit dem Abend im Januar 1988 – nicht ganz den Tatsachen entsprechend. Um ihren Bruder nicht erwähnen zu müssen, behauptete sie, Pitter Karotte habe sie aus der Diskothek nach Hause geschickt. Um sie dann draußen allein zu erwischen, das sprach sie nicht aus, das sollte Klinkhammer sich denken.
Die Auskünfte zu Pitter Karottes Haftstrafen, die sie am vergangenen Abend von Norbert erhalten hatte, legte sie Li in den Mund, vergaß auch nicht zu erwähnen, dass Karotte vermutlich mehr getan hatte, als nur ein paar Frauen zu vergewaltigen. Um ihre Schilderung des Unfalls zu untermauern, zog sie den nackten Mann im Teich heran, natürlich als reale Person und nicht als Traumgestalt. Insgesamt ergab sich so eine ihrer Meinung nach glaubwürdige Version.
Klinkhammer bat zweimal, sie möge etwas lauter sprechen, was jedoch wegen Kevin in der Küche nicht möglich war. Er wollte Einzelheiten der Vergewaltigung wissen, in welcher Diskothek sie gewesen, um welche Zeit, wo genau und in welcher Weise der Angriff erfolgt war, ob der Täter eine Waffe eingesetzt, etwas gesagt oder etwas Besonderes an sich gehabt habe – und sei es nur ein übler Geruch.
«Beim Rest müssen Sie jetzt nicht ins Detail gehen», sagte er. «Das können Sie später machen, bei einer Beamtin. Mit einer Frau spricht es sich leichter über solche Dinge.»
Sie sah nicht ein, wozu er überhaupt Einzelheiten wissen musste. Er erklärte, er brauche das, um vergleichen zu können. Wenn Pitter Karotte wegen Vergewaltigung vorbestraft sei, hätten andere Frauen eine Aussage gegen ihn gemacht. Da könne man nach Übereinstimmungen suchen.
«Ich will ihn deswegen aber nicht anzeigen», sagte sie. «Sonst kommt noch einer auf die Idee und will einen Vaterschaftstest machen. Meine Tochter soll nicht darunter leiden.»
«Das wird sie nicht», versprach Klinkhammer. «Kein Mensch zwingt Sie nach zwölf Jahren noch zu einer Anzeige. Aussicht auf eine Verurteilung hätte das nach all der Zeit ohnehin kaum noch.»
Also erzählte sie ihm auch noch, wie es gewesen war. Dass ihr Angreifer kein Wort gesagt, dass sie absolut nichts gesehen, auch nichts gerochen habe mit dem Parka über dem Kopf. Dass er sie mit Fäusten und Füßen traktiert hatte und sie noch eine Weile im Dreck liegen geblieben war, bis dieser kleine Hund kam und die ältere Frau zu schimpfen begann. Klinkhammer schien damit zufrieden, er wollte nur noch Lis vollen Namen und ihre damalige Adresse.
«Mei Li Jau», sagte sie. «Eine eigene Adresse hatte sie nicht, sie lebte immer bei Freunden.»
Klinkhammer lachte leise. «Mei Li Jau», wiederholte er. «Das klingt tatsächlich nach einer Chinesin. Und sie wollte am 15. September 1990 frühmorgens von Frankfurt aus zurück in ihre Heimat fliegen, da sind Sie sicher?»
«So hat sie es mir gesagt», antwortete sie.
«Haben Sie ein Flugticket gesehen, oder wissen Sie, wo die Maschine landen sollte?», fragte er.
«Nein», sagte sie.
«Tja», meinte er, «nach all der Zeit werden wir sie in China kaum ausfindig machen. Vielleicht ließe sich noch feststellen, welchen Flug sie genommen hat, da bin ich nicht sicher. Mit Fluggesellschaften hatte ich noch nicht zu tun, keine Ahnung, wie lange die ihre Daten aufheben.»
«Das weiß ich leider auch nicht», sagte sie.
Er lachte noch einmal. «Woher auch. Aber vielleicht ist Pitter Karotte noch irgendwo aufzutreiben. Dass er nicht mehr unter den Lebenden weilt, glaube ich kaum. Machen Sie sich deswegen mal keine Sorgen.»
«Das tue ich nicht», sagte sie. «Ich mache mir nur Sorgen um meinen Mann. Sie denken bestimmt, dass ich an seine Unschuld glauben muss, weil ich seine Frau bin. Aber ich glaube nicht nur daran, Herr Klinkhammer, ich bin überzeugt davon. Ich kenne meinen Mann. Er könnte niemals einem Menschen etwas antun. Er hat als Jugendlicher seine Schwester verloren, durch einen Badeunfall. Beinahe wäre er auch
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