Das letzte Opfer (German Edition)
bestimmt nicht so empfunden.»
Er setzte sich zu ihr auf die Couch, nahm sie in den Arm und entschuldigte sich auch noch. «Darüber habe ich nicht nachgedacht. Ich hatte heute nicht den besten Tag.»
Sie dachte, er wäre doch in Sorge. Aber er sagte: «Einige Aufnahmen sind nichts geworden, ausgerechnet die, von denen ich mir viel versprochen hatte. Erinnerst du dich an die Rotbuche?»
Sie nickte. «Märchenhaft, ein Traum in Rosa.»
Er verzog den Mund zu einem resignierenden Lächeln. «Und ich habe falsch belichtet. Das ist mir noch nie passiert. Nun kannst du sie nicht mal auf einem Foto bewundern.»
Sie saßen noch eine Weile auf der Couch, ohne zu sprechen. Ihr ging durch den Kopf, was Norbert behauptet hatte. Li, Alexa und Karotte. Von Karotten hatte Li in ihrem Traum gesprochen, fiel ihr ein. «Da esse ich doch lieber Karotten.» Ein merkwürdiger Satz aus dem Mund einer Frau, die sich bei ihrer Vergewaltigung vorgestellt haben wollte, sie sei eine Spinne, weil viele Spinnenweibchen die Männchen aussaugten.
Es kam ihr auch so vor, als hätte sie den Namen Alexa schon einmal gehört, ihr fiel nur nicht ein, wann und von wem. Vielleicht hatte Norbert den Namen damals einmal erwähnt. Li hatte ihr nie gesagt, wo oder bei wem sie wohnte. Li hatte ihr auch nie von einer Oma in Spanien oder einem Onkel in der Eifel erzählt, nur das eine Mal von den Eltern in China. «Wenn mein Vater stirbt, komme ich nicht zurück, ich kann meine Mutter nicht im Stich lassen.» Das hörte sie noch, und es hatte geklungen, als habe Li nicht noch einmal zurück nach Köln kommen wollen.
Sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte über die Frau, mit der sie einmal durch den Regen gelaufen war, zu zweit unter einem Schirm. Die sie ansonsten nur jeden zweiten Samstag für ein paar Stunden gesehen hatte, Stunden, in denen Li arbeiten musste und sich meist mit ihrer Kollegin unterhielt. Stunden, in denen sie nur zugehört und sich in diesen Verdacht hineingesteigert hatte. Und wie oft hatte Norbert damals gesagt: «Glaub ihr nicht alles, Karen, sie verarscht dich nur.» Einem Mädchen, das man nur verarscht hatte, schrieb man doch nicht.
Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen gegenüber Marko, wünschte, er hätte überlegt, wo er einen guten Anwalt fand, für den Fall, dass er doch einen brauchte. Sie konnte ihm keinen beschaffen, kannte nur den, der sie vor zehn Jahren vor der Jugendkammer vertreten hatte. Er war damals schon alt gewesen und ein Stümper, hatte Norbert gesagt.
Die halbe Nacht lag sie wach und überlegte, was sie tun könnte, ob sie überhaupt etwas tun durfte, ohne den Anschein zu wecken, sie glaube, ihr Mann könne ein Mörder sein.
Der Geisterjäger
Viel Schlaf fand auch Thomas Scheib in der Nacht zum Freitag nicht. Er hatte nach seinem Gespräch mit Oliver Lohmann noch lange mit Frederik Fährlich zusammengesessen, telefonisch Kontakt gehalten zum LKA-Labor und der Suchmannschaft. Die Untersuchungen des im Wald gefundenen Sweatshirts waren noch nicht abgeschlossen, doch am späten Abend stand fest, dass es daran keine Spuren von Blut gab, nur Wagenschmiere.
Es waren bis zum Einbruch der Dunkelheit in dem Waldstück auch weder eine Leiche noch ein frisches Grab, nicht einmal Spuren eines Spatens entdeckt worden. Was ihn wieder völlig sicher machte, dass er den Fall richtig beurteilte.
Er erläuterte Fährlich die daraus folgende Strategie: In den nächsten Tagen eine offizielle Entschuldigung an Leitner senior für die einseitigen Ermittlungen. Nicht zu dick auftragen, ausdrücklich betonen, die Umstände hätten dafür gesprochen. Anschließend Observierung von Stefan Leitner, wie auch Weigler es vorhatte. Der Knabe würde seine Freundin, beziehungsweise ihre Leiche, besuchen, sobald sein Vater ihn in die Freiheit entließ. Er würde in ihrer Nähe noch einmal über die Trostlosigkeit seines Daseins ohne sie winseln und ihr die Schuld geben, dass er sie habe töten müssen. Danach würde er wahrscheinlich einen Suizidversuch unternehmen.
Was Marko Stichler betraf, blieben eigentlich nur Weilheim und Julia Roberts. Er erteilte Fährlich den Auftrag, in dem Hotel den Rechnungsbeleg zu überprüfen, um festzustellen, ob Stichler mit Kreditkarte bezahlt hatte. Mit einer Kartennummer ließ sich seine Spur durchs Land leichter verfolgen. Wenn er auch in Hofheim-Diedenbergen gewesen war, in Lübeck, Eibelstadt, Stuttgart, Bielefeld und Blankenheim …
Weit nach Mitternacht kehrte er aus München
Weitere Kostenlose Bücher