Das letzte Opfer (German Edition)
loszuschicken, um nur mal schnell ein Alibi zu überprüfen, war an Dämlichkeit kaum zu überbieten.
Als er endlich in Wiesbaden anrief, hoffte er auf ein kleines Zugeständnis. Er wollte sich nicht in einen großen Fall einmischen, nur noch einmal unter vier Augen mit Karen über den Vater ihrer Tochter und den nackten Penner im Teich reden. Wieder wurde er abgeschmettert. Aber er erwischte Scheib auch in einem denkbar ungünstigen Moment.
Nur ein paar Daten
Seit elf Uhr brütete er an seinem Schreibtisch über einem kleinen Häufchen Papier. Lukas Wagenbach hatte wie besprochen den Donnerstag genutzt, um die Hotelbuchungen prüfen zu lassen und die amtlich verfügbaren Daten über Marko Stichler anzufordern. Viel war es nicht, aber das Wenige hatte es in sich.
Wagenbach befand sich in einer Besprechung, das verschaffte Thomas Scheib Zeit und Muße, sich damit auseinander zu setzen. Keine Vorstrafen, jedenfalls keine, die noch irgendwo gespeichert waren. Keine groben Verstöße im Straßenverkehr, kein einziger Vermerk in Flensburg. Marko Stichler war ein Mann mit einer weißen Weste, so wie er sich das Phantom immer vorgestellt hatte.
Bei den erfassten Hotelbuchungen war sein Name nicht aufgetaucht. Blieb Kirbys Theorie vom Wohnmobil, die er verworfen hatte. Im Besitz eines solchen Fahrzeugs war Marko Stichler nicht, auch das hatte Wagenbach schon abgeklärt.
Während er weiterlas, ging ihm kurz noch einmal Stefan Leitner durch den Kopf. Er war unverändert überzeugt, dass der verwöhnte Bengel Barbara Lohmann umgebracht hatte. Aber dann vergaß er das winselnde Bündel in München. Es war ein Background, der seine kühnsten Erwartungen sprengte.
Dominante Mutter! Dass es eine Stiefmutter war, unterstrich den Aspekt noch. Berufstätig, um die Familie zu ernähren! Eine Modelagentur, die auch Schauspielerinnen in unbedeutende Rollen vermittelte. Und er lockte Julia Roberts mit einer großen Rolle in den Tod. Marion Schneiders toller Job in Rom passte noch besser. Mode! Darauf hätte er eher kommen können.
Verlangte Unterstützung vom Sohn! Vom Stiefsohn wohl erst recht. Vermutlich war ihm in jungen Jahren eine Kamera in die Hand gedrückt worden. Und seitdem war er gezwungen, all die hübschen, jungen Frauen abzulichten, deren Karriereträume seine Stiefmutter in bescheidenem Rahmen zu verwirklichen suchte. Ein oder zwei jüngere Geschwister, weiblich! Eine Halbschwester und die uneheliche Tochter der Stiefmutter.
Auch Wagenbachs Ansichten über die Lebensumstände eines Serienmörders fanden sich wieder. Lange Zeit ein Einzelgänger. Stichler hatte vom dritten bis zum zweiunddreißigsten Lebensjahr unter einem Dach mit seiner Stiefmutter gelebt und war erst ein halbes Jahr nach seiner Hochzeit umgezogen.
Wo er bis zum dritten Lebensjahr untergebracht gewesen war, ging aus den amtlichen Unterlagen nicht hervor. Sein Vater hatte in Köln eine Wohnung gehabt und niemandem mitgeteilt, dass sein Sohn bei einer Großtante in der Eifel gelebt hatte.
Das Datum der Trauung sprach auf den ersten Blick zu seinen Gunsten. Nur zwei Wochen zwischen Julia Roberts’ Verschwinden und seinem Gang zum Standesamt. Aber eine traumatisierte junge Frau war keine aufmerksame Partnerin, ihr erzählte man irgendwas, wenn man kaltblütig war, gut vorbereitet und auf den Tag fixiert. Der 14. September war gleich zweimal mit einschneidenden Ereignissen vertreten.
Die Halbschwester Jona war am 14. September 1975 geboren. Rabea Sanfart, die uneheliche Tochter der Stiefmutter, war vier Jahre später an Jonas Geburtstag im Alter von sechzehn Jahren gestorben. Woran, hatte Wagenbach noch nicht in Erfahrung gebracht. Und am 24. April 1980 war sein Vater mit Jona aus Köln verzogen – nach Rom.
Den April hatte Wagenbach mit einem Textmarker gekennzeichnet, um ihm zu zeigen, dass er mit seinem Widerspruch falsch gelegen hatte, Barbara Lohmann war am 22. April verschwunden. Zwei Tage vor einem Datum, das zweifellos eine unangenehme Bedeutung für Marko Stichler haben musste. Üblich war es nicht, dass ein Vater den einzigen Sohn bei der Stiefmutter zurückließ. Das sah Scheib nicht anders, als Christa Dierden es vor Jahren gesehen hatte. Unter normalen Umständen wäre das kleine Mädchen bei der Mutter geblieben.
Es waren nur ein paar Daten, aber sie machten ihn völlig sicher. Er hatte ihn! Marko Stichler musste der Mann sein, den er seit beinahe acht Jahren suchte. Und wenn ein glücklicher Zufall oder ein gerechter Gott eine
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