Das letzte Opfer (German Edition)
verführt ihn das zum Leichtsinn. Wenn er sich wieder sicher fühlt, sein Depot aufsucht …»
«Man lässt den Spatz in der Hand nicht fliegen für die Taube auf dem Dach», schnitt Wagenbach ihm das Wort ab. «Depot! Wer weiß denn, ob er überhaupt etwas aufgehoben hat?»
«Ich weiß es», sagte er bestimmt. «Und ich weiß auch, dass er nach Klinkhammers Besuch am Mittwoch kein Feuer angezündet oder sonst etwas getan hat, um alles zu vernichten. Weil er nämlich weiß, dass es vorbei ist und er sich für den Rest seines Lebens nur noch erinnern kann. Ich kriege ihn mit seinen Erinnerungen, Lukas, nur damit, aber damit für alle.»
Wagenbach betrachtete ihn, als wolle er frustriert den Kopf schütteln. Das verkniff er sich, sagte nur: «Na schön, vielleicht ist es einen Versuch wert. Aber deshalb musst du dich nicht persönlich mit ihm unterhalten. Überlass es dem Beamten, den er schon kennt. Der überzeugt ihn vermutlich eher als du.»
Ausgerechnet in dem Moment rief Klinkhammer an, wartete mit den neuen Informationen auf, schilderte seine Vermutungen und sagte: «Wenn Frau Stichler sich bei mir meldet, fahre ich mal mit ihr ins Bergische Land. Vielleicht bringt das was.»
«Sind Sie noch bei Trost?», fuhr Scheib auf. «Sie wimmeln die Frau ab, wenn sie sich meldet.»
«Keine Sorge», versuchte Klinkhammer sein Vorhaben zu retten. «Er wird nichts davon erfahren, daran ist ihr selbst gelegen. Ich habe ein ungutes Gefühl, Herr Scheib. Ihn hat damals keiner gefragt, wo er hergekommen ist, er war ja nur der Zeuge. Und er hat doch schon vorgebaut, suizidgefährdet. Vielleicht glaubt er, wenn seine Frau morgen oder übermorgen mit einem Föhn in der Wanne läge, gäbe es nicht mehr viele Fragen.»
«Unsinn», erwiderte Scheib. «Das kann er sich nicht leisten. Wenn seiner Frau jetzt etwas zustößt, sitzt er richtig in der Klemme. Sie werden nichts unternehmen. In dieser Sache ist schon genug Mist gebaut worden.»
«Aber nicht von mir», stellte Klinkhammer richtig.
Darauf ging Scheib nicht ein, erklärte stattdessen in etwas versöhnlicherem Ton: «Er ist nicht triebgesteuert, scheidet als Vergewaltiger aus, und damit …» Weiter kam er nicht.
«In dem Fall müsste ihn ja nicht unbedingt der Trieb gesteuert haben», schnitt Klinkhammer ihm das Wort ab. «Er hatte Streit mit ihrem Bruder, es könnte das Bedürfnis nach Rache gewesen sein. An ihren Bruder traute er sich nicht ran, also hat er seine Wut an ihr ausgetobt und später bei ihrer Freundin damit geprotzt.»
«Unsinn», sagte Scheib noch einmal. «Das passt überhaupt nicht zu ihm. Es heiratet auch keine Frau freiwillig ihren Vergewaltiger, der noch dazu ihre Freundin umgebracht hat.»
«Es sei denn, sie hat ein Blackout», meinte Klinkhammer.
«Was sie hat, spielt in diesem Fall keine Rolle», dozierte Scheib. «Er hätte sich nicht vier Jahre Zeit gelassen, eine Mordzeugin unter seine Kontrolle zu bringen. Ich bin morgen früh um sieben Uhr in Bergheim. Das gilt auch für Sie. Sehen Sie zu, ob Sie bis dahin etwas über die Todesumstände von Rabea Sanfart in Erfahrung bringen.»
«Wer soll das sein?», fragte Klinkhammer.
«Stichlers Schwester, vielmehr die Tochter seiner Stiefmutter, verstorben am 14. September 1979.»
«Badeunfall», sagte Klinkhammer knapp und so rasch, dass Scheib erst einmal durchatmen musste.
«Sehr fix, der Mann», meinte Wagenbach, der mithörte.
«Gut», sagte Scheib. «Dann legen Sie mir jetzt den Verkehrsunfall ins Fax, ich schau mir das selbst an.»
Klinkhammer legte ohne ein weiteres Wort auf und tat, wie befohlen. Dann lasen sie erst einmal, was das Faxgerät ausspuckte. In einem Punkt waren sie sofort einig, Mei Li Jau konnte nicht das fehlende Opfer sein, eine Chinesin passte nun wirklich nicht ins Bild. Beim Rest klafften ihre Ansichten auseinander. Scheib sah in dem Unfall den Grund für die Lücke. So hatte Kirby es doch vor fünf Jahren vermutet. Vielleicht war Stichler auf dem Weg zu seinem Opfer gewesen, hatte notgedrungen als Zeuge auftreten müssen und sich nur deshalb wutentbrannt auf Karen stürzen wollen.
«Unsinn», sagte Wagenbach. «Er hätte weiterfahren können, wäre nicht der erste Unfallzeuge gewesen, der sich um nichts kümmert.» Wagenbach stellte fest, dass Karen exakt an Rabea Sanfarts Geburtstag vergewaltigt worden war. Er hielt es für denkbar, dass Klinkhammer mit seinen Vermutungen richtig lag, und riet noch einmal: «Überlass es ihm, Thomas. Wenn die Frau ihn aus
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