Das Letzte Plädoyer: Roman
war.
Hochwürden O’Connor hatte sein Gemeindemitglied jeden Tag besucht, seit er zum Pflegefall geworden war, und an diesem Morgen hatte er Beths Mutter gebeten, Familienangehörige und enge Freunde für diesen Abend ans Bett zu rufen, da die Sterbesakramente nicht länger aufgeschoben werden konnten.
»Beth.«
Beth fuhr zusammen, als ihr Vater sie ansprach. »Ja, Dad?« Sie nahm seine Hand.
»Wer leitet jetzt die Werkstatt?«, fragte er mit einer hohen, fast unhörbaren Stimme.
»Trevor Sutton«, erwiderte sie leise.
»Das schafft er nicht. Du musst jemand anderen suchen, und zwar schnell.«
»Das mache ich, Dad«, erwiderte Beth pflichtschuldigst. Sie sagte ihm nicht, dass sonst keiner den Job wollte.
»Sind wir allein?«, fragte er nach langer Pause.
»Ja, Dad. Mum ist nebenan und spricht mit Mrs. …«
»Mrs. Cartwright?«
»Ja«, gab Beth zu.
»Gott sei gedankt für ihren gesunden Menschenverstand.« Er hielt inne und holte tief Luft. »Den du von ihr geerbt hast.«
Beth lächelte.
Das Sprechen war schon fast zu viel für ihn. »Sag Harry«, flüsterte er plötzlich, mit noch schwächerer Stimme, »sag Harry, ich will sie beide sehen, bevor ich sterbe.«
Beth hatte schon vor einiger Zeit aufgehört, ›Du wirst nicht sterben‹ zu sagen, und flüsterte ihm daher nur ins Ohr: »Das mache ich, Dad.«
»Ich will ihnen sagen, dass ich mich geirrt habe.« Noch eine lange Pause, noch ein Kampf um Atem, dann wisperte er: »Versprich mir nur eines.«
»Alles.«
Er packte den Arm seiner Tochter. »Du musst dafür kämpfen, seinen Namen reinzuwaschen.« Der Griff wurde plötzlich schwächer, dann erschlaffte die Hand gänzlich.
»Das werde ich«, versprach Beth, obwohl sie wusste, dass er sie nicht mehr hören konnte.
49
Mr. Munros Büro hinterließ mehrmals auf seiner Mobilbox die Bitte, umgehend zurückzurufen. Er hatte anderes zu tun.
Sir Nicholas war in einem Streifenwagen zum Paddington Green Polizeirevier gebracht worden, um dort die Nacht in einer Zelle zu verbringen. Nachdem Mr. Munro ihn dort zurückgelassen hatte, fuhr er mit dem Taxi zum Caledonian Club in Belgravia. Er machte sich Vorwürfe, weil er nicht daran gedacht hatte, dass Sir Nicholas auf Bewährung war und daher das Land nicht hätte verlassen dürfen. Vielleicht lag es daran, dass Sir Nicholas für ihn einfach kein Krimineller war.
Als Mr. Munro kurz nach 23 Uhr in seinem Club eintraf, fand er Miss Davenport im Aufenthaltsraum für Gäste vor. Sie hatte auf ihn gewartet. Als Erstes musste er feststellen, und zwar rasch, ob sie der Aufgabe gewachsen war. Dafür brauchte er ungefähr fünf Minuten. Selten war er jemandem begegnet, der die entscheidenden Punkte eines Falles so rasch begriff. Sie stellte die richtigen Fragen und er konnte nur hoffen, dass Sir Nicholas die richtigen Antworten wusste. Als sie sich kurz nach Mitternacht trennten, zweifelte Munro nicht daran, dass sein Mandant in guten Händen sein würde.
Miss Davenport hatte Munro nicht daran erinnern müssen, welche Einstellung das Gericht gegenüber Gefangenen hatte, die gegen ihre Bewährungsauflagen verstießen, und wie überaus selten Ausnahmen gemacht wurden, vor allem, wenn die Auslandsreise ohne vorherige Absprache mit dem Bewährungshelfer angetreten wurde. Sowohl sie als auch Munro wussten um die Gefahr, dass das Gericht Nick ins Gefängnis zurückschicken würde, um die restlichen vier Jahre seiner Strafe abzusitzen. Natürlich würde sie auf ›mildernde Umstände‹ plädieren, aber sie war nicht allzu optimistisch, was das Ergebnis anging. Munro machte sich nichts aus Anwälten, die allzu optimistisch waren. Sie versprach, ihn umgehend in Dunbroath anzurufen, sobald der Richter sein Urteil gefällt hatte.
Als Munro gerade auf sein Zimmer gehen wollte, teilte ihm der Nachtportier des Clubs mit, dass noch eine Nachricht für ihn vorlag. Er solle seinen Sohn so bald wie möglich anrufen.
»Was ist denn so dringend?«, lautete Munros erste Frage.
»Galbraith hat alle anstehenden Verfügungen zurückgezogen«, flüsterte Hamish Munro, weil er seine Frau nicht aufwecken wollte. »Auch die Räumungsklage binnen 30 Tagen gegen Sir Nicholas. Ist das eine völlige Kapitulation oder entgeht mir hier etwas?«, fragte er, nachdem er die Badezimmertür geschlossen hatte.
»Letzteres, fürchte ich, mein Sohn. Galbraith hat nur alles, was irrelevant ist, geopfert, um den einzigen Preis einzuheimsen, der wirklich etwas wert ist.«
»Will er das Gericht dazu
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