Das Letzte Plädoyer: Roman
dieselbe Strecke in 29 Minuten zurücklegen, ohne dass man dafür die Geschwindigkeitsbegrenzung überschreiten musste.
Während sie am Nordufer der Themse entlangfuhren und dabei am Unterhaus vorbeikamen, konzentrierte sich Danny auf das, was getan werden musste, sobald sie das Zielgebiet erreichten. Sie fuhren durch die Innenstadt in Richtung East End. Dannys Konzentration wurde nur kurz unterbrochen, als sie an einem großen Baugelände vorbeikamen, neben dem auf einer riesigen Schautafel ein herrlicher Entwurf gezeigt wurde, wie der Wilson-Wohnkomplex nach seiner Fertigstellung aussehen würde: Sechzig Luxuswohnungen und dreißig bezahlbare Wohneinheiten, wurde dort versprochen, neun waren bereits verkauft, einschließlich des Penthouses. Danny lächelte.
Big Al fuhr die Mile End Road entlang, dann bog er nach links, vorbei an einem Schild mit der Aufschrift
Stratford – Austragungsort der Olympischen Spiele von 2012
? Elf Minuten später bog er von der Straße auf einen Kiesweg. Er schaltete die Scheinwerfer aus, da er zwischen dieser Abfahrt und dem Zielgebiet jeden Zentimeter, ja fast jeden Stein kannte.
Am Ende des Weges passierte er ein Schild mit der Aufschrift
Privatbesitz – Betreten verboten
. Er fuhr dennoch weiter, schließlich war Danny der Besitzer des Grundstücks und würde das auch noch weitere acht Tage bleiben. Big Al brachte den Wagen hinter einem kleinen Hügel zum Stehen, schaltete den Motor aus und drückte auf einen Knopf. Das Seitenfenster glitt nach unten. Sie saßen einen Moment in aller Stille und lauschten, aber man hörte nur die Geräusche der Nacht. Während einer nachmittäglichen Aufklärungsfahrt waren sie ein paar Menschen begegnet, die ihre Hunde ausführten, und einer Gruppe Kinder, die Fußball spielte, aber jetzt war da nichts, nicht einmal ein Nachtschwärmer leistete ihnen Gesellschaft.
Nach zwei Minuten berührte Danny Big Als Ellbogen. Sie stiegen aus und gingen zum Kofferraum. Big Al öffnete ihn, während Danny seine Turnschuhe auszog. Big Al holte die Schachtel aus dem Kofferraum und stellte sie auf den Boden, wie sie es bereits in der Nacht zuvor getan hatten, als Danny einen Probedurchgang absolviert hatte, um zu sehen, ob er die 71 weißen Kieselsteine fand, die sie tagsüber in Ritzen, Löchern und Spalten deponiert hatten. Er hatte 53 gefunden. In dieser Nacht würde er sich besser schlagen.
Ein letzter Testlauf an diesem Nachmittag hatte ihm die Chance geboten, diejenigen Kiesel zu finden, der er zuvor übersehen hatte. Bei Tageslicht konnte er das Gelände in etwas über zwei Stunden abarbeiten. In der vergangenen Nacht hatte er drei Stunden und siebzehn Minuten gebraucht. In dieser Nacht würde es noch länger dauern, weil er so oft in die Knie gehen musste.
Es war eine klare, stille Nacht, wie es der Wetterbericht vorhergesagt hatte. Erst am Morgen sollte ein leichter Regen einsetzen. Wie jeder gute Bauer hatte Danny den Tag, sogar die Stunde für die Aussaat gewissenhaft ausgewählt. Big Al nahm den schwarzen Overall aus der Schachtel und reichte ihn Danny, der den Reißverschluss aufzog und hineinschlüpfte. Selbst diesen einfachen Schritt hatten sie mehrmals im Dunkeln geübt. Big Al gab ihm die Gummistiefel, dann die Handschuhe, die Taschenlampe und schließlich die Plastikbox mit der Aufschrift ›Gefährlich‹.
Als sich sein Boss an die Arbeit machte, bezog Big Al beim Wagen Stellung. Danny begab sich in eine Ecke seines Grundstücks und machte weitere sieben Schritte, bevor er den ersten weißen Kiesel entdeckte. Er hob ihn auf und ließ ihn in eine der beiden tiefen Taschen des Overalls fallen. Dann ging er in die Knie, schaltete die Taschenlampe ein und bohrte einen winzigen Stängel in einen Spalt im Boden. Er schaltete die Taschenlampe wieder aus und stand auf. Gestern hatte er es ohne den Wurzelstock probiert. Weitere neun Schritte und er stieß auf den nächsten Kieselstein und wiederholte den ganzen Vorgang, dann nur einen Schritt, bevor er zum dritten Kiesel gelangte und sich neben einen Spalt kniete, in den er tief die Rhizome versenkte. Dann wieder fünf Schritte …
Big Al hätte zu gern geraucht, aber er wusste, dass er dieses Risiko nicht eingehen durfte. In Bosnien hatte ein Soldat während einer nächtlichen Operation einmal eine Zigarette angezündet, und nur drei Sekunden später steckte eine Kugel in seinem Schädel. Big Al wusste, dass der Boss noch mindestens drei Stunden brauchen würde, und er durfte seine
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