Das Letzte Plädoyer: Roman
diese Ähnlichkeit zu seinem Vorteil nutzte. Er ließ sich die Haare schneiden und veränderte seine Sprechweise, um aus dem tragischen Tod von Nicholas Moncrieff seinen ganz persönlichen Nutzen zu ziehen. Doch wie bei allen tollkühnen Verbrechen war dafür auch ein Quäntchen Glück vonnöten. Der erste Glücksfall bestand darin, dass Moncrieff Cartwright bat, auf eine silberne Kette mit Anhänger, auf einen Siegelring mit dem Familienwappen und auf eine Uhr mit seinen Initialen aufzupassen, die er immer trug, außer unter der Dusche. Der zweite Glücksfall war, dass Moncrieff einen Komplizen hatte, der zur rechten Zeit am rechten Ort war. Meine Damen und Herren Geschworenen, Sie fragen sich jetzt vielleicht, wie Cartwright, der eine 22-jährige Haftstrafe für …«
Alex war schon auf den Beinen und wollte protestieren, als der Richter sagte: »Mr. Pearson, wenn Sie meine Geduld nicht überstrapazieren wollen, dann sollten Sie jetzt nicht weiter in diese Kerbe schlagen.«
»Ich entschuldige mich, Euer Lordschaft.« Pearson war sich sehr wohl bewusst, dass selbst jene Geschworenen, die sich der ausufernden Berichterstattung über den Fall in den letzten sechs Monaten nicht bewusst gewesen waren, jetzt nur allzu gut wussten, für welches Verbrechen Cartwright ursprünglich verurteilt worden war.
»Wie ich also sagte, fragen Sie sich vielleicht, wie Cartwright, der eine 22-jährige Strafe absaß, in der Lage war, die Identität eines anderen Gefangenen anzunehmen, der nur zu acht Jahren verurteilt worden war und der schon zwei Wochen später entlassen werden sollte. Ihre DNA passte nicht zusammen, ihre Blutgruppen waren nicht identisch, die Röntgenaufnahmen ihrer Zähne waren völlig unterschiedlich. Doch hier kommt der zweite Glücksfall zum Tragen«, erläuterte Pearson. »Denn all das wäre nicht machbar gewesen, hätte Cartwright nicht einen Komplizen gehabt, der als Pfleger im Gefängnisspital arbeitete. Dieser Komplize war Albert Crann, der dritte Gefangene, der mit Moncrieff und Cartwright eine Zelle teilte. Als er vom Selbstmord unter der Dusche hörte, tauschte er die Namen auf den Krankenakten aus, so dass der Arzt, als er die Leiche untersuchte, den Eindruck haben musste, es sei Cartwright gewesen, der Selbstmord begangen hatte, nicht Moncrieff. Kurz darauf fand in der Kirche St. Mary in Bow die Beerdigung statt, auf der die engsten Familienangehörigen des Angeklagten, einschließlich der Mutter seines Kindes, der Überzeugung waren, dass die Leiche, die man ins Grab hinunterließ, die von Daniel Cartwright war.
Jetzt fragen Sie sich bestimmt, was für eine Art Mann bereit ist, seine eigene Familie auf diese Weise zu hintergehen? Ich sage Ihnen, was für eine Art Mann. Dieser Mann!« Er zeigte mit dem Finger auf Danny. »Er hatte sogar den Nerv, als Nicholas Moncrieff an seiner eigenen Beerdigung teilzunehmen, damit er sehen konnte, wie man die Leiche vergrub und sicher sein konnte, dass er damit durchkommen würde.«
Erneut hielt Pearson inne, damit den Geschworenen die Bedeutung seiner Worte klarwerden konnte. »Seit dem Tod von Moncrieff trug Cartwright immer die Uhr, den Siegelring und die silberne Kette mit Anhänger, die Moncrieff gehört hatten. Seine Mitgefangenen glaubten, tatsächlich Nicholas Moncrieff vor sich zu haben, der nur noch zwei Wochen abzusitzen hatte. Am 17. Juli 2002 spazierte Daniel Cartwright als freier Mann durch die Pforte von Belmarsh, obwohl er eigentlich noch 20 Jahre hätte absitzen müssen. War er damit zufrieden, dass ihm die Flucht gelungen war? Nein. Er nahm den ersten Zug nach Schottland, damit er sich des Familienvermögens der Moncrieffs bemächtigen konnte. Anschließend kehrte er nach London zurück und bezog das Stadthaus von Sir Nicholas Moncrieff in The Boltons. Aber damit war es noch nicht genug, meine Damen und Herren Geschworenen. Cartwright besaß die Frechheit, Geld von Sir Nicholas’ Konto bei der Coutts Bank abzuheben. Man könnte denken, nun sei es endlich genug. Aber nein! Cartwright flog nach Genf, um sich mit dem Vorstandsvorsitzenden der Coubertin Bank zu treffen, einer der führenden Schweizer Banken. Ihm legte er den Schlüsselanhänger sowie den Pass von Moncrieff vor, woraufhin er Zugang zu der berühmten Briefmarkensammlung von Sir Alexander Moncrieff, dem verstorbenen Großvater von Sir Nicholas Moncrieff, erhielt. Was tat Cartwright, als er sich das Familienerbe unter den Nagel gerissen hatte, das Sir Alexander Moncrieff in über
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