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Das Letzte Protokoll

Das Letzte Protokoll

Titel: Das Letzte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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e resse mehr an der Zukunft. Nichts mehr zu investieren.
    Grace sagt: »Deine Arbeit ist ein Geschenk an die Z u kunft, und wer dich aufzuhalten versucht, den wird die Geschichte verfl u chen.«
    Misty malt weiter, und Grace legt ihr etwas um die Tai l le, dann um die Arme, um den Hals. Etwas Leichtes, We i ches an ihrer Haut.
    »Misty, meine Liebe, deine Taille misst siebenundsechzig Ze n timeter«, sagt Grace.
    Ein Maßband.
    Etwas Glattes gleitet zwischen ihre Lippen, und Grace' Sti m me sagt: »Zeit für deine Pille.« Ein Strohhalm schiebt sich ihr in den Mund, und Misty saugt ein bisschen Wa s ser ein, um die Kapsel zu schlucken.
    1819 malte Theodore Gericault sein Meisterwerk: Das Floß der Medusa. Es zeigt zehn Schiffbrüchige, die als Einzige von 147 Passagieren den Untergang ihres Schiffs überlebten und danach zwei Wochen lang im Wasser trieben. Gericault hatte damals g e rade seine schwangere Geliebte verlassen. Um sich selbst zu b e strafen, rasierte er sich den Schädel. Fast zwei Jahre lang mied er jeden Umgang mit seinen Freunden und ließ sich nicht in der Ö f fentlichkeit blicken. Er war siebenundzwanzig, lebte völlig zurückg e zogen und malte. Umgeben von den Sterbenden und Leichen, die er für sein Meisterwerk studierte. Nach mehreren Selbstmordversuchen starb er mit zweiunddre i ßig.
    Grace sagt: »Wir alle müssen sterben.« Sie sagt: »Das Ziel ist nicht ewiges Leben, sondern etwas zu erschaffen, was ewig leben wird.«
    Sie hält das Maßband an Mistys Bein.
    Etwas Kaltes und Glattes gleitet an Mistys Wange, und Grace' Stimme sagt: »Fühl mal.« Grace sagt: »Das ist Satin. Ich nähe dir ein Kleidchen für die Vernissage.«
    Statt »Kleidchen« hört Misty Leichentuch.
    Misty fühlt, das kann nur weißer Satin sein. Grace zerschne i det Mistys Hochzeitskleid. Näht es neu zusammen. Damit es für die Ewigkeit hält. Neugeboren. Wiedergeb o ren. Mistys Wind-Song-Parfüm ist noch darauf, sie erkennt sich selbst wi e der.
    Grace sagt: »Wir haben alle eingeladen. Alle Sommerleute. De i ne Vernissage wird das größte gesellschaftliche E r eignis hier seit hundert Jahren.«
    Genau wie ihre Hochzeit. Unsere Hochzeit.
    Statt »Vernissage« hört Misty Vernichtung.
    Grace sagt: »Du bist fast durch. Nur noch achtzehn Bi l der.«
    Dann ist das Hundert voll.
    Statt »durch« hört Misty tot.

21. August
    Heute gibt es in der Dunkelheit hinter Mistys Lidern Feue r alarm im Hotel. Ein lang gezogener Klingelton auf dem Korr i dor, der so laut durch die Tür dringt, dass Grace schreien muss: »Oh, was ist denn jetzt los?« Sie legt Misty eine Hand auf die Schulter und sagt: »Mach weiter.«
    Sie drückt mit der Hand fest zu und sagt: »Mach nur noch di e ses letzte Bild fertig. Mehr brauchen wir nicht.«
    Ihre Schritte entfernen sich, die Tür zum Flur wird g e öffnet. Der Alarm wird kurz lauter, schrill wie die Pa u senklingel in Tabbis Schule. In ihrer Grundschule, als sie noch klein war. Das Kli n geln wird wieder leise, als Grace nun die Tür hinter sich z u klappt. Sie schließt nicht ab.
    Aber Misty malt weiter.
    Als Misty ihrer Mutter in Tecumseh Lake erzählte, sie werde vielleicht Peter Wilmot heiraten und nach Waytansea Island zi e hen, sagte ihre Mutter, ein richtig großes Vermögen könne man nur erwerben, indem man Leute an der Nase herumführe und ihnen Schmerz zufüge. Je gr ö ßer ein Vermögen, sagte sie, desto mehr Menschen werde Schmerz zugefügt. Die erste Ehe, sagte sie, habe für reiche Leute nur den Zweck der Fortpfla n zung. Sie fragte, ob Misty wirklich den Rest ihres Lebens mit einer solchen Person verbringen wolle.
    Ihre Mutter fragte: »Willst du denn keine Künstlerin mehr sein?«
    Nur um das festzuhalten: Misty antwortete, doch natü r lich.
    Misty war gar nicht mal so sehr in Peter verliebt gew e sen. Sie konnte sich das auch nicht erklären, was das war. Sie konnte ei n fach nur nicht mehr nach Hause gehen, zurück in diese Woh n wagenkolonie.
    Vielleicht hat eine Tochter einfach die Aufgabe, ihre Mutter g e gen sich aufzubringen.
    Das bringen sie einem jedenfalls nicht auf der Kunstak a demie bei.
    Der Feueralarm klingelt weiter.
    Es war in den Weihnachtsferien, als Peter und Misty durc h brannten. Eine ganze Woche lang ließ Misty ihre Mutter im U n gewissen. Der Priester sah Peter an und sagte: »Lächle, mein Sohn. Du siehst aus, als ob du vor einem Erschießungskomma n do stehst.«
    Ihre Mutter rief im College an. Sie rief die Krankenhä u ser an. In einer

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