Das letzte Revier
anschließend bin ich ins Haus gegangen.«
»Nackt.«
»Ja. Ich ging gleich in mein Schlafzimmer und duschte. So desinfiziere ich mich, wenn ich von einem Tatort direkt nach Hause fahre«, sage ich.
Berger ist fasziniert. Sie hat eine Theorie, und wie immer diese auch aussehen mag, ich fühle mich zunehmend unbehaglich und ungeschützt. »Ich frage mich«, sagt sie. »Ich frage mich, ob er das irgendwie wusste.«
»Wusste? Ich würde gern ins Haus gehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sage ich. »Ich friere.«
»Ob er irgendwie über Ihre Gewohnheiten Bescheid wusste«, lässt sie nicht locker. »Ob er sich deswegen für Ihre Garage interessierte. Vielleicht ging es gar nicht darum, den Alarm auszulösen. Vielleicht versuchte er wirklich einzudringen. In der Garage ziehen Sie sich aus - in diesem Fall Kleider, die von einem Tod besudelt waren, den er verursacht hatte. Sie waren nackt und verwundbar, wenn auch nur ganz kurz.« Sie folgt mir zurück ins Haus, und ich schließe die Tür zum Durchgang. »Das könnte bei ihm eine echte sexuelle Fantasie ausgelöst haben.«
»Ich sehe nicht, wie er irgendetwas über meine Gewohnheiten wissen könnte.« Mir gefällt ihre Hypothese nicht. »Er hat mich an dem Tag nicht beobachtet.«
Sie zieht die Augenbrauen hoch und sieht mich an. »Sind Sie da sicher? Könnte er Ihnen nicht gefolgt sein? Wir wissen, dass er sich irgendwann im Hafen aufgehalten hat, weil er auf diesem Weg nach Richmond kam - an Bord der Sirius, wo er sich eine weiße Uniform anzog, die sichtbaren Körperteile rasierte, die meiste Zeit in der Kombüse verbrachte, als Koch arbeitete und sich von anderen möglichst fern hielt. Lautet so nicht ein e Theorie? Ich kaufe ihm jedenfalls nicht ab, was er mir im Verhör gesagt hat dass er einen Pass und eine Brieftasche stahl und flog.«
»Eine Theorie lautet, dass er zur gleichen Zeit auftauchte wie die Leiche seines Bruders«, erwidere ich.
»Jean-Baptiste, besorgter Mensch, der er ist, blieb also wahrscheinlich auf dem Schiff und beobachtete, wie Sie alle herumliefen, als die Leiche gefunden wurde. Die größte Show auf Erden. Diese Arschlöcher lieben es, zuzusehen, wie wir an ihren Verbrechen arbeiten.«
»Wie sollte er mir gefolgt sein?« Dieser Gedanke empört mich maßlos. »Wie? Mit einem Wagen etwa?«
»Vielleicht«, sagt sie. »Mir erscheint es immer unwahrscheinlicher, dass Chandonne der einsame, unglückliche Wolf war, der zufällig in diese Stadt kam oder weil es bequem war. Ich bin nicht sicher, welche Verbindungen er hat, und frage mich, ob er nicht Teil eines größeren Plans ist, der etwas mit den Geschäften seiner Familie zu tun hat. Vielleicht sogar mit Bray, da sie eindeutig Beziehungen zur Unterwelt hatte. Und jetzt haben wir zwei weitere Morde, eines der Opfer mit Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Ein Auftragskiller. Und ein Undercover-Agent des FBI, der in einem Fall von Waffenschmuggel ermittelte. Und die Haare von dem Zeltplatz, die von Chandonne stammen können. Das alles summiert sich zu mehr als jemandem, der seinen Bruder umbrachte und an seiner statt an Bord des Schiffs nach Richmond ging - um aus Paris zu flüchten, weil seine hässliche kleine Angewohnheit, Frauen zu missbrauchen und zu ermorden, seiner mächtigen Verbrecherfamilie immer unbequemer wurde. Und dann fängt er hier an zu morden, weil er sich nicht im Griff hat? Hm. - Das sind einfach zu viele Zufälle. Und wie kam er zu dem Campingplatz, wenn er keinen Wagen hatte? Angenommen, die Haare sind tatsächlich von ihm.«
Ich setze mich an den Tisch. Die Garage hat keine Fenster, aber im Garagentor sind winzige Glasscheiben eingelassen. Ich ziehe in Betracht, dass Chandonne mir nach Hause folgte und mich durch eins dieser kleinen Fenster beobachtete, während ich aufräumte und mich auszog. Vielleicht hatte er auch Hilfe, um das leer stehende Haus am Fluss zu finden. Vielleicht hat Berger Recht. Vielleicht ist er nicht allein und war es auch nie. Es ist fast Mitternacht, fast Weihnachten, und Marino ist immer noch nicht da, und wie Berger aussieht, könnte sie bis zum Morgen weitermachen. »Die Alarmanlage geht los«, sagt sie. »Die Polizei kommt und fährt wieder. Sie selbst gehen zurück ins große Zimmer.« Sie bedeutet mir, ihr zu folgen. »Sie sitzen wo?«
»Auf dem Sofa.«
»Richtig. Der Fernseher läuft, sie sehen Rechnungen durch, und gegen Mitternacht passiert was?« »Jemand klopft an die Haustür«, sage ich. »Beschreiben Sie das
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