Das letzte Revier
Dann habe ich dir ein Glas Saft gebracht und behauptet, es wäre Wahrheitsserum. Du hast den Saft getrunken und gebeichtet.«
»Wie das eine Mal, als ich deine Festplatte neu formatiert habe, als du weg warst.« Sie lacht laut.
»Gerade mal zehn Jahre alt und formatiert meine Festplatte. Ich war einem Herzinfarkt nahe«, erinnere ich mich.
»He, aber zuerst habe ich Sicherheitskopien von allen deine n Dateien gemacht. Ich wollte dich nur erschrecken.« Sie amüsiert sich königlich.
»Beinahe hätte ich dich nach Hause geschickt.« Ich wische die Finger meiner linken Hand mit einem Geschirrtuch ab, damit mein Gips nicht nach Zwiebeln riecht, und verspüre eine süße Wehmut. Ich weiß nicht mehr, warum Lucy damals bei mir war; es war ihr erster Besuch in Richmond, ich hatte keine Erfahrung in Kindererziehung und stand unter enormem Druck. Dorothy machte eine Krise durch. Vielleicht war sie auch auf und davon, um wieder einmal zu heiraten, vielleicht war ich auch nur ein leichtes Opfer. Lucy betete mich an, und daran war ich nicht gewöhnt. Wann immer ich sie in Miami besuchte, folgte sie mir hartnäckig auf Schritt und Tritt durchs Haus.
»Du wolltest mich nicht nach Hause schicken«, fordert Lucy mich heraus, aber in ihren Augen sehe ich Zweifel aufflackern. Ihre Angst, unerwünscht zu sein, ist nicht unbegründet. »Nur weil ich mich der Aufgabe, mich um dich zu kümmern, nicht gewachsen fühlte«, erwidere ich und lehne mich an die Spüle. »Nicht etwa, weil ich nicht verrückt nach dir kleinen Ratte gewesen wäre.« Wieder lacht sie. »Aber du hast Recht, ich hätte dich nicht nach Hause geschickt. Wir wären beide am Boden zerstört gewesen. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht.« Ich schüttle den Kopf. »Gott sei Dank für unser kleines Spiel. Es war die einzige Möglichkeit, wie ich herausfinden konnte, was in dir vorging oder was du angestellt hattest, während ich weg war. Muss ich dir also jetzt ein Glas Saft oder Wein eingießen, oder erzählst du mir freiwillig, was mit dir los ist? Ich bin nicht von gestern, Lucy. Du bist nicht zum Spaß in einem Hotel abgestiegen. Du hast etwas vor.«
»Ich bin nicht die erste Frau, die sie rausekeln«, sagt sie. »Du wärst die beste Frau, die sie rausekeln«, entgegne ich. »Erinnerst du dich an Teun McGovern?«
»Ich werde sie nie vergessen.« Teun - Tie-Un ausgesprochen - McGovern war Lucys ATF-Supervisor in Philadelphi a gewesen, eine außergewöhnliche Frau, die sich mir gegenüber wunderbar verhalten hat, als Benton ermordet wurde. »Bitte, erzähl mir bloß nicht, dass Teun irgendetwas zugestoßen ist.«
»Sie hat vor ungefähr einem halben Jahr ihren Job hingeschmissen«, erwidert Lucy. »Das ATF wollte sie nach Los Angeles versetzen und sie dort zum SAC machen. Das Schlimmste, was einem auf Gottes schöner Welt passieren kann. Niemand will nach LA.« Ein SAC ist ein »special agent in charge«, ein Spezialagent, der mit der Leitung einer Außenstelle betraut ist, und nur sehr wenigen Frauen wird so eine Stelle angetragen. Lucy erzählt, dass McGovern daraufhin kündigte und eine Art private Ermittlungsagentur gründete. »Das letzte Revier«, sagt sie und wird zunehmend lebhaft. »Ziemlich cooler Name, findest du nicht? In New York. Teun hat Brandermittler, Bombentypen, Polizisten, Anwälte, alle möglichen Leute angeheuert, die mithelfen, und es ist noch kein halbes Jahr vergangen, und schon hat sie Mandanten. Es ist so etwas wie eine geheime Gesellschaft. Es wird ziemlich viel darüber geredet. Wenn du in der Scheiße sitzt, dann rufe >Das letzte Revier< - wenn du nicht mehr weißt, an wen du dich noch wenden sollst.« Ich rühre in der köchelnden Tomatensauce und probiere ein wenig. »Offensichtlich hast du genau verfolgt, was Teun macht, seitdem du aus Philadelphia weg bist.« Ich gebe ein paar Löffel Olivenöl in die Sauce. »Verdammt. Hierfür ist es okay, aber nicht für die Salatsauce.« Ich hebe die Flasche hoch und runzle die Stirn. »Wenn man die Oliven mit dem Kern auspresst, dann ist das, als würde man Orangen mit der Schale auspressen. Man kriegt, was man verdient.«
»Wie komme ich nur auf die Idee, dass Anna mit italienischer Küche wenig am Hut hat?«, kommentiert Lucy die Lage. »Wir müssen sie erziehen. Schreib eine Einkaufsliste.« Ich mache eine Kopfbewegung in Richtung des Notizblocks und des Stifts neben dem Telefon. »Erstens, italienisches Olivenöl Extra Vergine - entkernt, bevor es gepresst wurde. Mission Olive s
Weitere Kostenlose Bücher