Das letzte Riff
schien alles egal. Nur Yovell schlug im Dunklen ein Kreuz, als der Leichnam über die Seite gehoben wurde und davontrieb.
Bolitho hielt Catherines Schulter so fest, als wolle er sie vor dem Angriff der Haie schützen. Aber die hatten Geduld, konnten auf sie alle warten.
Beim ersten Morgengrauen sah Catherine, daß Tucker nicht mehr da war. Sie wagte nicht, sich auszumalen, wie er in seinem Wahnsinn gestorben war. Es war vorbei, eine Erlösung für ihn.
Ozzard maß den restlichen Inhalt des Wasserfäßchens aus und schüttelte kurz den Kopf.
»Wenigstens einen halben Becher?« Bolithos Stimme klang bittend.
Ozzard hob die Schultern. »Weniger.«
Vorsichtig stieg Sophie über die ausgestreckten Beine und die liegenden Körper der Freiwache.
Catherine streckte einen Arm ans. »Was ist, Sophie? Komm her zu mir!«
Das Mädchen ergriff ihre Hand. »Ist das Land da drüben?«
Sie schien Angst zu haben, daß sie durchdrehen könnte wie Tucker.
Keen erhob sich von seinem Riemen und beschattete seine Augen mit der Hand. »Lieber Gott! Es
ist
Land!«
Allday grinste zur Mastspitze hoch, wo in seinem Lied ein Engel gesessen hatte. »Na also«, murmelte er, »du hast auf uns arme Hunde doch gut aufgepaßt!«
Als das Licht heller wurde, sahen sie, daß das Land, das Sophie entdeckt hatte, nur eine Insel war. Aber ihre Nähe gab den Leuten neue Kraft, und als sie wieder anruderten, war alle Enttäuschung aus ihren verbrannten Gesichtern verschwunden.
Zwischen zwei Pulls fragte Keen: »Kennen Sie sie, Sir?« Bolitho drehte sich um und sah, daß Catherine ihn beobachtete. »Ja, ich kenne die Insel.«
Eigentlich sollte er zufrieden sein, ja stolz, daß er sie so weit gebracht hatte. Sie steuerten nun nicht mehr auf eine leere Kimm zu.
Jenour keuchte: »Und wie heißt sie, Sir Richard?«
Catherine beobachtete ihn immer noch und las in seinem Gesicht wie in einem Buch. Bolitho erinnerte sich an die Hoffnungslosigkeit, an die plötzliche Verzweiflung, die dieser Ort aus den Tiefen der Erinnerung in ihm wachrief. Er dachte an einen Midshipman, seinen damaligen Freund, den er selbst Catherine gegenüber nur selten erwähnte. All diese Bilder waren zu schmerzlich.
Sie war ein kahler Ort, diese Insel, die sie umsegeln mußten. An ihrer gefährlichen, felsigen Küste versteckten sich Sklavenhändler, und davor waren es Piraten gewesen. Doch die kreuzten jetzt weiter im Süden, wo sie auf den Seewegen zum Kap der Guten Hoffnung reichere Beute machen konnten.
»Ich habe vergessen, wie sie heißt.« Selbst das würde Catherine als Lüge erkennen. Dieses kleine, feindliche Eiland hieß Insel der lebenden Toten. Nichts wuchs auf ihr, nichts blieb hier am Leben. Entschlossen sagt er: »Aber zwanzig Meilen weiter liegt eine reich bewaldete Insel. Mit Süßwasser und genügend Fisch!«
Höflich fragte Yovell: »Diese Insel hier nützt uns also nichts?«
Das klang so verzweifelt, daß Bolitho antwortete: »Es gibt in den Felsen höchstens Pfützen mit Regenwasser. Oder Muscheln.« Er sah ihre Hoffnung schwinden wie Sand im Stundenglas und blieb beharrlich: »Also los, Männer! Was ist denn? Immerhin können wir Muscheln sammeln und sie mit dem Rest unseres Zwiebacks verzehren.«
Yovell schien zufrieden. »Und was anderes haben wir ja zur Zeit nicht vor, Sir, oder?«
Owen strich sich über die zersprungenen Lippen. »Sehr gut, Sir. Wir könnten auch hinschwimmen – gäb’s die Haie nicht.«
Catherine sah, wie das Leben in die Männer zurückkehrte. Nichts war mehr da von den Vogelscheuchen, denen sie eben noch geglichen hatten. Aber wie lange würde Bolitho sie bei der Stange halten können?
Um die Mittagszeit hatte das Boot eine Bucht der kargen Insel erreicht, wo abgeschliffene Felsen sich unter dem Kiel nach oben schoben und das Wasser so klar war, daß man es kaum von der Luft unterscheiden konnte. Bolitho stand aufrecht, beschattete mit der Hand die Augen und sah unter sich ihren eigenen Schatten auf dem Meeresgrund.
»Klar bei Wurfanker! Stephen, Owen – über die Seite damit.
Die anderen – streicht Riemen!«
Der Flaggleutnant und der scharfäugige Ausguck zogen den Anker durchs Wasser, damit der Schaft sich nicht zwischen scharfkantigen Felsen verfing. Als sie ihn fallen ließen, griffen die Flunken, und die Jolle törnte ein.
Bolitho sah, wie die Männer über Bord krochen oder sich einfach fallen ließen und den sanft ansteigenden Strand hinauf laufen wollten. Aber das lange Eingezwängtsein in der Jolle ließ
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