Das letzte Sakrament
geschehen, mit oder ohne sein Zutun. Deswegen musste er handeln. Jetzt!
Pandera schlich durch den Kabinengang. Wie ausgestorben lag er vor ihm, nur der Wind blies sein entferntes Lied. Theater, Disco, Bar und selbst das Casino hatten geschlossen. Alle schienen zu schlafen. So luxuriös das Schiff von außen auch aussah, so einladend manche Räume auch waren, in den schmalen Gängen, die zu den Kabinen führten, wirkte es doch nur wie eine Massenabsteige.
Pandera kam an einem Übersichtsplan vorbei und suchte Kabine 434. Sie befand sich ganz in der Nähe. Mit schnellen Schritten ging er dorthin und horchte an der Tür. Neben dem gedämpften Pfeifen des Windes war nur das Brummen der Klimaanlage zu hören. Entweder Kunen schlief oder er war unterwegs. Pandera führte die gefälschte Bordkarte in den Leser an der Kabinentür. Das Gerät klickte, ein grünes Licht leuchtete auf. Vamos!
Der Kommissar drehte den Knauf, öffnete vorsichtig die Tür und blickte in die Kabine. Sie lag im Dunkeln. Kein Atmen war zu hören, nur das dumpfe Rauschen des Meeres mischte sich in das Pfeifen des Windes und das Brummen der Klimaanlage. Pandera huschte in die Kabine und schloss die Tür hinter sich. Während er den Lichtschalter suchte, blitzten in seiner Erinnerung Bilder auf. Bilder von Toten, die blutüberströmt auf dem Bett lagen, von Männern, die sich selbst gerichtet hatten oder die Opfer eines Mörders geworden waren. War die Welt wirklich so grausam, wie die Boulevardzeitungen behaupteten? Oder kam sie einem nur so vor, wenn man bei der Polizei arbeitete?
Pandera ertastete den Lichtschalter, stellte sich auf das Schlimmste ein und sah – nichts!
Ein leeres, unberührtes Bett, einen zugezogenen Vorhang vor dem Bullauge, ein halb offener Kleiderschrank. Er öffnete die Tür zum Bad. Wo steckte der Kerl? Bei jedem anderen hätte er ein amouröses Abenteuer vermutet, aber nicht bei Vikar Simon Kunen, dem Krieger des Glaubens.
Wenn der Vikar nicht hier war, wo war er dann? Alle öffentlichen Räume des Schiffes waren geschlossen. Neben dem Kabinentrakt waren nur noch die oberen Decks zugänglich, doch bei diesem Sturm würde sich dort niemand freiwillig aufhalten.
Pandera blickte sich um. Es war eine einfache Außenkabine. Wenigstens ist das Reisebudget des Bistums nicht größer als meins , dachte er, doch nicht einmal die Andeutung eines Lächelns huschte über sein Gesicht. Der Kommissar zog Einweghandschuhe an und öffnete die Nachttischschublade. Nur eine Bibel lag darin. Die gehörte bestimmt nicht dem Vikar, so unbenutzt, wie sie aussah. Dann nahm er sich den Kleiderschrank vor, sah Kunens Priestergewand, durchsuchte jede Tasche und jedes Stückchen Stoff, doch er fand keinen Hinweis darauf, was der Vikar plante.
Bevor Pandera die Kabine wieder verließ, zog er den Vorhang vor dem Bullauge zurück und löschte das Licht. Über die Treppe hastete er zum Oberdeck. Vor der Glastür nach draußen blieb er stehen. Es regnete in Strömen, und es wehte ein heftiger Wind. Pandera zögerte. Ja, er musste da raus. Er brauchte die Gewissheit, alles getan zu haben. Also öffnete er die Tür und trat hinaus in die kalte Nacht.
Der Sturm heulte wie hundert Wölfe. Pandera zog den Kopf ein und rannte über das Deck. Schon nach wenigen Augenblicken war er nass bis auf die Haut. Das Deck war wie ausgestorben. Und keine Spur von Kunen.
Da, der Schornstein am Heck, dort hatte er noch nicht nachgesehen. Es wäre ein gutes Versteck. Geduckt lief er dorthin und schlich um den massigen Turm.
Nichts.
Er wollte sich schon wieder auf den Weg zurück machen, als er einen kleinen Koffer unter einem der angeketteten Liegestühle entdeckte.
81
»Wie haben Sie es gemacht?«, zischte Kunen und richtete das geladene Kreuz auf den Wissenschaftler. »Wie haben Sie der Welt vorspielen können, Sie hätten den Heiland geklont?«
»Ich … ich habe es nicht vorgespielt … Ich habe ihn wirklich geklont«, stammelte Wismut.
»Unsinn!« Kunen trieb den Professor durch den Gang vor sich her. »Wo ist Ihre Kabine?«
Wismut antwortete nicht.
Der Vikar packte ihn an der Schulter und riss ihn herum. »Wo ist Ihre Kabine?«
»Sie sind nicht einmal fähig, die Nähe unseres Jesus zu spüren …«
»Ihr Jesus ist nicht echt!« Kunen ließ eine Hand in die Jacketttasche des Professors gleiten und zog den Bordausweis heraus. »Es steht zwar keine Kabinennummer drauf, aber Sie reisen sicher nicht auf den billigen Plätzen.«
Wismut reagierte
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