Das letzte Sakrament
Beginn einer Schmutzkampagne sein, gesteuert ausgerechnet vom heiligen Vatikan? Oder war es nur ein billiges Ablenkungsmanöver, ein Bluff? Natürlich würde der Mord an Roland Obrist in der Presse diskutiert werden, falls bekannt wurde, dass der Mann das Grabtuch untersucht hatte. Doch über ein Thema in der Presse zu berichten hieß noch lange nicht, auch die Wahrheit zu sagen. Das wusste Simovic selbst am besten.
Ja, er hatte diesen ehemaligen Jesuiten getroffen, na und? Er hatte recherchiert, schließlich war er Journalist. Zu einer solchen Story kam man nicht wie die Jungfrau zum Kinde, sondern nur durch harte Arbeit. Außerdem hatte Obrist ihn kontaktiert und nicht umgekehrt. Und viel hatte er ohnehin nicht erzählt. Anfangs zumindest.
Simovic hielt den Kopf unter den Wasserhahn und drehte auf. Es bringt überhaupt nichts, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Besser ich lege mich wieder schlafen. Wird in der nächsten Zeit nicht allzu viel Gelegenheit dazu geben. Er nahm ein zerschlissenes Handtuch, trocknete sich die Haare, legte sich wieder auf die Pritsche und wickelte sich in die graue Decke. Ohne Fenster und ohne Uhr fehlte ihm jedes Zeitgefühl. Simovic gähnte ein paarmal und drehte sich auf die Seite. Kaum hatte er die Augen geschlossen, war er auch schon im Land der Starjournalistenträume, in dem es von Pulitzer-Preisen und Watergate-Skandalen nur so wimmelte.
Doch er blieb nicht lange dort.
Die Tür seines Raums öffnete sich, und er erwachte. Der blonde Hüne trat in die Zelle und grüßte ihn barsch. Seinem Gesicht nach zu urteilen, hatte er keine guten Nachrichten mitgebracht. Fragte sich nur, für wen?
Jetzt sagst du mir gleich, dass ich gehen kann. Simovic grinste. Der Blonde setzte sich an den kleinen Tisch und befahl Simovic wortlos zu sich. Er holte ein doppelseitig beschriebenes Blatt Papier heraus und legte es auf den Tisch.
»Unterschreiben Sie das!«
»Ich habe dieses Hotel nicht gebucht, also unterschreibe ich keine Rechnungen«, erwiderte Simovic, nahm das Papier aber trotzdem in die Hand und überflog es. Es enthielt ein Schuldanerkenntnis, aus dem hervorging, dass er eine nicht-genehmigte öffentliche Versammlung auf dem Staatsgebiet des Vatikans abgehalten und dabei gegen diverse Gesetze des Kirchenstaates verstoßen hatte. Des Weiteren beinhaltete das Papier eine Verschwiegenheitserklärung, wonach er nichts von dem verwerten oder weitergeben durfte, was ihm innerhalb der vatikanischen Mauern widerfahren war. Außerdem musste er sich verpflichten, das Staatsgebiet des Vatikans nie wieder zu betreten. Über den letzten Punkt musste er fast lachen, da das kaum zu kontrollieren war, schließlich hatte der Vatikan ziemlich offene Grenzen, zumindest auf dem Petersplatz.
»Warum soll ich diesen Wisch unterschreiben?«, fragte er.
»Weil ich Sie sonst nicht gehen lassen kann.« Der Blonde verschränkte die Arme.
»Und wenn ich mich weigere?«
»Dann bleiben Sie bis auf Weiteres hier!«
»Gut«, antwortete Simovic, zerknüllte das Papier und warf es in hohem Bogen in den Plastikpapierkorb, der ihm schon die ganze Zeit beschäftigungslos Gesellschaft geleistet hatte. Der Papierball prallte an die Kante des Korbs und fiel hinein. »Treffer.« Simovic grinste.
Der Blonde knirschte mit den Zähnen, hielt sich aber zurück.
»Wir beide wissen, dass die Zeit für mich arbeitet«, bemerkte Simovic. »Also, entweder ich kann ohne Vorbedingungen gehen oder ich möchte meinen Anwalt sprechen.«
»Sie werden mit niemandem sprechen«, entgegnete der Blonde und klopfte an die Tür. Sofort öffnete sie sich.
»Ist der Vatikan kein Rechtsstaat?«, fragte Simovic, doch der Hüne antwortete nicht. Er ging durch die Tür und ließ sie mit einem lauten Knall ins Schloss fallen.
Simovic grinste. Mit jeder Minute, die ich hier sitze, erhöht sich der Druck auf den Vatikan. Es gibt genügend Journalisten, die sich im Namen der Pressefreiheit um meine Freilassung kümmern werden. Ich muss nichts tun, nur warten .
Er legte sich wieder auf die Pritsche, drehte sich auf die Seite und wickelte sich in die kratzige Decke. Wenig später war er eingeschlafen.
36
Zurück im Waaghof ging Pandera sofort zu Deckert. »Ich nehme an, du bist der Richtige, der mir etwas zu den heiligen Sakramenten sagen kann, oder?«
Deckert sah von seinem Computerbildschirm auf. Pandera stutzte. Auf Deckerts Schreibtisch stand ein Schachbrett.
»Klar, welche meinst du denn?«, fragte der Kollege.
»Wie?
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