Das letzte Sakrament
am Kinderparadies vorbei.
Pandera lief zurück in seine Kabine und zog sich um. Um Punkt sieben Uhr war er wieder auf dem Oberdeck und begann, sich auf der Joggingstrecke warm zu machen. Wenn das bei der Kälte überhaupt ging. Erleichtert beobachtete er, dass die Türen zum Kinderparadies sich gerade öffneten. Er hatte nichts verpasst. Drei wartende Jungs, begleitet von ihren Müttern, schossen an der blonden Betreuerin vorbei in die mit bunten Papierfliegern geschmückten Räume. Der kleine Jesus war nicht dabei.
Pandera begann zu joggen. Nach einer halben Stunde schnaufte er so stark, dass er sich fragte, wie er früher einen Marathon geschafft hatte. Er setzte sich in einen Liegestuhl und keuchte, als habe ihn jemand gezwungen, eine Packung Zigaretten zu rauchen. Drei Mädchen und zwei Jungen waren in der Zwischenzeit vorbeigekommen, doch keiner sah dem Jesusklon ähnlich.
Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Er musste endlich handeln! Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, stand auf, nahm seine Tasche und ging zu der Kinderbetreuerin. Dort stellte er sich vor und zeigte ihr die Bescheinigung der italienischen Polizei.
Kritisch musterte die junge Frau das Schreiben. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich suche diesen Mann und dieses Kind«, sagte er und gab der Betreuerin das Foto von Wismut und dem Jesusklon. »Sind Ihnen die beiden aufgefallen?«
Während die junge Frau das Foto aufmerksam betrachtete, sah Pandera auf ihr Namensschild. Sunny, ein passender Name für ein blondes Kindermädchen mit Sommersprossen.
»Nein, die beiden hab ich noch nie gesehen«, antwortete sie und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
»Und Ihre Kolleginnen?«, fragte Pandera.
»Ich bin eigentlich immer hier«, antwortete Sunny. »Wir haben nur frei, wenn die Kleinen im Bett sind.«
»Ich verstehe. Aber es werden wahrscheinlich nicht alle Kinder bei Ihnen abgegeben, oder? Manche bleiben doch sicher auch bei ihren Eltern?«
»Am ersten Tag veranstalten wir eine Begrüßungs-Party, bei der alle Kinder ein T-Shirt mit Lucky, unserem Maskottchen, geschenkt bekommen.« Sie zeigte auf eine Delfin-Comicfigur, die durch einen Ring sprang. »Das lässt sich kein Kind entgehen. Spätestens am zweiten Tag sind alle T-Shirts abgeholt«, erklärte sie. »Ich hab die Kleinen also alle gesehen. Der Junge, den Sie suchen, ist mit Sicherheit nicht an Bord.«
Sie zuckte mit den Schultern und lächelte. Doch ihr Lächeln schien nur aufgesetzt, fast abweisend. Aber würde nicht jeder so reagieren, wenn ein Unbekannter, der sich als Polizist ausgab, nach einem Kind fragte?
Pandera bedankte sich, nahm seine Tasche und ging. Mache ich mir nur etwas vor? Kann ich nicht zugeben, dass ich mich getäuscht habe? Mit jeder Stufe, die er die Treppe vom Oberdeck hinunterging, wuchs seine Überzeugung: Ich bin auf dem falschen Schiff! Ich muss so schnell wie möglich runter von der Atlantis .
69
»Zum letzten Mal, ich werde nicht zu Ihrer Gemeindeversammlung kommen!« Roger Simovic schmiss sein Handy an die Wand. Automatisch rief er nach Jerome, doch dann fiel ihm ein, dass er seinen Assistenten gestern gefeuert hatte. Er hob das Handy vom Boden auf, es hatte nur eine kleine Schramme abbekommen und schien noch zu funktionieren. Eine reife Leistung angesichts des dritten Vorfalls dieser Art innerhalb von zwei Tagen. Wenn der Hersteller weiterhin so unkaputtbare Geräte baut, ist er bald pleite. Man muss gut sein, um zu überleben, ja, man muss nicht nur gut sein, man muss besser sein als die Konkurrenz. Nur das kleine Stückchen besser, das notwendig ist, um zu gewinnen. Alles andere ist Vergeudung von Ressourcen und Potenzial. Gedanklich muss man immer zwei Schritte weiter sein als die Konkurrenz, aber es reicht, wenn man nur einen davon geht. Und genau das muss ich jetzt tun.
Er spürte den Atem der Konkurrenz im Nacken. Doch er kam überhaupt nicht dazu, sich um den nächsten Schritt zu kümmern. Ständig riefen diese Spinner bei ihm an! Seit er von der Pressekonferenz zurückgekommen war, war es schon der vierte Anruf gewesen.
Die einen wollten eine neue Gemeinde in Rom gründen und ihn dazu einladen, die anderen hatten sich angeblich schon gegründet und wollten ihn zu ihrem Oberhaupt wählen, und wieder andere fragten, ob man bei ihm irgendwelche Reliquien des kleinen Jesus erstehen könne. Und dann gab es auch noch die, die fragten, ob sich sein Leben denn geändert habe, seit er dem Erlöser begegnet war. Und wie es sich geändert
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