Das letzte Theorem
Beobachter jederzeit zulassen musste.
»Das wird wohl die ›Transparenz‹ sein, von der Gamini sprach«, kommentierte Ranjit.
Das andere Dokument handelte von konkreteren Dingen. Darin wurde geschildert, wie der Generalsekretär der Vereinten Nationen in aller Stille seinen aus zwanzig Mitgliedern bestehenden unabhängigen Rat zusammengestellt hatte, der das Projekt Pax per Fidem leiten sollte. Die Staaten, welche die Ratsmitglieder stellten, waren in einer Liste aufgeführt; sie reichten von den Bahamas bis zu Brunei, Kuba und Tonga. Sri Lanka und Vanuatu standen als die beiden letzten Länder darauf. Das Konzept der Transparenz wurde ausführlich erörtert. Im Interesse dieser »Transparenz« hatte man Pax per Fidem damit beauftragt, eine autonome Aufsichtsbehörde zu gründen, ein sogenanntes Inspektorat. »Ich denke, man will dich für den Posten eines dieser Inspektoren anwerben«, mutmaßte Myra, als sie das Licht löschte.
Ranjit gähnte. »Mag ja sein, aber ehe ich mich zu irgendetwas verpflichte, muss ich mir schon ein genaueres Bild von meiner Tätigkeit machen können.«
Am nächsten Morgen bemühte sich Gamini, alle ihre Fragen zu beantworten. »Ich habe mit meinem Vater darüber gesprochen, wie viel Freiheit man dir zugestehen würde. Offenbar eine ganze Menge, Ranj. Er ist sicher, dass du dich über alles informieren darfst, was mit Pax per Fidem zusammenhängt, mit einer einzigen Ausnahme, und das ist Stiller Donner. Du wirst nie erfahren, wie viele Waffen dieses Typs wir besitzen oder ob und gegen wen wir sie möglicherweise einsetzen werden. Darüber erhalten nur die Mitglieder des Rats Auskunft. Aber zu allem anderen erhältst du Zugang. Du darfst an den meisten Ratssitzungen teilnehmen, und wenn du irgendetwas erfahren hast, von dem du glaubst, es sei potenziell gefährlich, kannst du bei diesen Gelegenheiten deinen Bericht erstatten.«
»Nur einmal angenommen«, warf Myra ein, »er hätte etwas entdeckt, was seiner Meinung nach eine Gefährdung darstellt, aber der Rat unternimmt nichts, um diesen Missstand abzustellen - was dann?«
»In diesem Fall hat er die Erlaubnis, die Weltpresse zu informieren«, erwiderte Gamini prompt. »Aus Gründen der Transparenz. Nun, was ist, Ranj? Hast du noch weitere Fragen, ehe du dich entscheidest, ob du bei uns mitmachst oder nicht?«
»Ja, ein paar«, entgegnete Ranjit. »Dieser Rat. Seine Mitglieder halten Treffen ab, nicht wahr? Und worüber wird bei diesen Zusammenkünften gesprochen?«
»Na ja, hauptsächlich erarbeiten sie Pläne für jeden nur erdenklichen Notfall. Man stürzt kein Regime, ohne vorher sicherzustellen, dass nach dem Umbruch eine lebensfähige und reibungslos funktionierende Gesellschaft existiert. Wie wichtig das ist, hat man aus den Desastern gelernt, die sich 1918 in Deutschland und 2003 im Irak abspielten. Es genügt aber nicht, die Bevölkerung mit ausreichend Nahrungsmitteln und elektrischem Strom zu versorgen oder eine Polizeitruppe aufzustellen, die Plünderungen und Schlimmeres verhindert. Die Leute müssen die Chance erhalten, eine neue Regierung zu bilden.« Gamini dachte kurz nach und setzte von neuem an. »Ein wichtiger Aspekt, mit dem sich der Rat befasst, ist die Gestaltung unserer Zukunft. So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Überall brechen bewaffnete Konflikte aus, die zu einem größeren Krieg eskalieren könnten, und der Rat behält diese Krisenherde im Auge …«
»Moment mal!«, fiel Myra ihm ins Wort. »Soll das im Klartext heißen, dass man diese Wunderwaffe Stiller Donner noch an anderen Orten der Welt einsetzen will?«
Gamini gönnte ihr ein nachsichtiges Lächeln. »Meine liebe Myra«, erwiderte er belustigt, »du hast doch wohl nicht angenommen, dass Nordkorea ein Einzelfall bleiben sollte?«
Als er Ranjits und Myras Mienen bemerkte, klang er pikiert. »Was ist los? Habt ihr etwa kein Vertrauen zu uns?«
Myra übernahm das Antworten - genauer gesagt, sie reagierte, denn sie ging nicht direkt auf Gaminis Frage ein. »Gamini, hast du mal das Buch 1984 gelesen? Der Autor heißt
George Orwell, und es wurde Mitte des letzten Jahrhunderts in England veröffentlicht.«
Gamini blickte beleidigt drein. »Selbstverständlich habe ich das Buch gelesen. Mein Vater war ein großer Orwell-Fan. Findest du, wir benehmen uns wie Big Brother? Vergiss bitte nicht, dass der Sicherheitsrat einmütig für den Einsatz von Stiller Donner gestimmt hat.«
»Das meine ich nicht, Gamini. Ich denke nur daran,
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