Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
war eine schmale Öffnung in der Wand. Verschlossen zwar, aber leicht aufzubrechen. Eine Durchreiche für die Wäsche. »Meint ihr, wir kommen da durch?«, fragte sie die anderen, die gleich zu ihr gerannt waren, und sie begann innerlich zu glühen, als Edward ihr einen triumphierenden Blick zuwarf.
»Ich denke, das schaffen wir auf jeden Fall«, meinte er grinsend und zog sich an der Öffnung hoch. Gerade als er sich hindurchzwängen wollte, waren auf der anderen Seite der Öffnung Schritte und gedämpfte Stimmen zu vernehmen. Männer. Im Fisher-Flügel. Leise ließ sich Edward wieder auf den Boden gleiten.
»Und wenn das System nicht mehr zu retten ist?«
»Natürlich ist es zu retten. Der Bruder will uns nur hinhalten, das ist alles. Er meint, je länger es dauert, desto besser kann er verhandeln. Aber wir brauchen ihn nicht. Wir brauchen den Jungen. Raffy. Wenn wir ihn finden, können wir den Bruder beseitigen. Er wird allmählich zu anstrengend. Zu schwierig.«
»Was ist mit Lucas?«
Ein Seufzer war zu hören. »Zuerst müssen wir seinen Bruder Raffy finden. Dann kümmern wir uns um Lucas.«
Clara hatte nicht bemerkt, dass Harriet rot anlief und dass ihr der Schweiß von der Stirn tropfte. Erst als sie hustete und ein Taschentuch hervorzog, um das Geräusch zu dämpfen, begriff Clara, dass Harriet verzweifelt versuchte, den Husten zu unterdrücken.
In dem Moment waren die Schritte und die Stimmen verstummt. Clara und ihre Freunde waren wie erstarrt und warfen sich ängstliche Blicke zu. Nur Sekunden später standen die Männer hinter ihnen im Wäscheraum und starrten sie an. Sie trugen schwarze Jacken und schwarze Hosen. Ihre Gesichter waren streng und undurchdringlich.
»Sie sind hier«, rief einer der Männer. Sie traten zur Seite und ein weiterer Mann betrat den Raum. Nachdem er sich einen Überblick über die Szene verschafft hatte, kniff er die Augen zusammen und betrachtete prüfend jedes einzelne Gesicht.
»Ihr wisst, wer wir sind?«, fragte er dann, und Clara erkannte die Stimme sofort: Das war der Mann, der zuvor über Lucas und den Bruder geredet hatte.
Clara schüttelte den Kopf. Sie sah, dass Harriet am ganzen Leib zitterte.
Der Mann starrte sie an. »Wir sind die Spitzel. Wir erstatten Bericht über Leute, die gegen die Regeln verstoßen. Und ihr habt gegen die Regeln verstoßen. Das werdet ihr noch bereuen. Und falls ihr mit irgendeiner Menschenseele darüber sprecht, wird derjenige es ebenfalls bereuen. Das ist keine leere Drohung. Wir sind aus einem bestimmten Grund in der Stadt. Habe ich mich klar ausgedrückt? Vielleicht sollte ich noch deutlicher werden. Du. Edward. Komm mit.« Er sah Edward mit ernstem Gesicht an und der wich zurück.
»Ich sagte, komm mit«, wiederholte der Mann mit gedämpfter, aber bedrohlicher Stimme. Die beiden anderen Männer gingen auf Edward zu. Der begann zu zittern, und als er weglaufen wollte, packten sie ihn und schleiften ihn aus der Wäschekammer. Clara hörte ihn eine Weile schreien und rufen, dann war es plötzlich still.
» Ihr solltet jetzt gehen«, sagte der Mann mit einem leisen Lächeln. »Und bitte denkt daran: Wenn ihr auch nur ein Wort ausplaudert von dem, was ihr gesehen oder gehört habt, dann seht ihr Edward nie wieder. Und natürlich wissen wir, wer ihr seid und wo ihr wohnt.« Er lächelte sie an, verließ mit einem Achselzucken den Raum und schloss die Tür hinter sich.
»Was ist dann passiert?«, fragte Lucas atemlos, und sein Herz klopfte wie wild.
Clara atmete tief durch. »Wir haben das Krankenhaus verlassen und sind davongerannt, so schnell wir konnten.«
»Und habt ihr es irgendjemandem erzählt?«
Clara schüttelte den Kopf. »Das konnten wir nicht. Wegen Edward. Wegen dem, was der Mann gesagt hat. Die wissen, wer wir sind. Wir konnten es nicht erzählen. Wir konnten nicht …«
Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, und sie wischte sie verstört weg.
»Was ist dann passiert?« Lucas versuchte, ruhig zu bleiben und sich nicht anmerken zu lassen, wie wütend er war und wie gern er gleich zum Krankenhaus gelaufen wäre, um diese Männer mit bloßen Händen in Stücke zu reißen. Wer waren sie? Was hatten sie in seiner Stadt zu suchen? Wie konnten sie es wagen, über Raffy zu reden, als ob sie ihn kennen würden?
»Nichts. Wir haben darauf gewartet, dass Edward zurückkommt. Aber er kam nicht. Eine Woche später ist Harriet verschwunden und eine Woche darauf ihr jüngerer Bruder. Ich weiß, dass keiner von ihnen
Weitere Kostenlose Bücher