Das Leuchten der Insel
Herstellen und Arrangieren von tausend bunten Kranichen benötigt.«
Susannah brachte die Süßigkeiten zurück und kaufte die Schachtel. Zu Hause las sie die Anweisungen und faltete nach ein paar Fehlversuchen ein rosa (Lilas Lieblingsfarbe) Blatt Papier zu etwas, das einem Vogel glich. Sie faltete einen weiteren in Violett und sagte zu Jon, dass er ihn ihrer Mutter geben könne. Sie hatte nicht die Zeit, tausend Vögel anzufertigen, was beängstigend und langweilig klang. Aber wenn sie Lila diese beiden zusammen mit den Karten gaben und ihr sagten, dass sie Hoffnung und Wohlwollen symbolisierten, dann war das möglicherweise ein gutes Geschenk zum Muttertag.
Vor dem Abendessen stellte Susannah die Karten und die Kraniche neben Lilas Teller auf den Tisch.
»Was ist das?«, fragte Lila. Sie nahm den rosa Kranich in die Hand. »Der ist aber hübsch.« Sie lächelte Susannah an; es war ein warmes Lächeln, das auch ihre Augen erfasste.
Susannah konnte sich noch an die Hoffnung erinnern, die damals voller Wärme und Erleichterung in ihr aufstieg.
»Es ist Muttertag«, sagte sie. »Viel Glück …«, setzte sie an, brach dann jedoch ab. Das waren nicht die richtigen Worte, noch nicht. »Wir wollten etwas für dich tun.«
Lilas Augen füllten sich mit Schmerz, und die Finsternis kehrte zurück. »Oh«, sagte sie. »Muttertag. Das habe ich vergessen. Es ist gut, dass ihr Kinder daran gedacht habt.« Sie stellte den rosa Kranich auf die ausgestreckte Handfläche ihrer linken Hand und betrachtete ihn von allen Seiten, indem sie ihr Handgelenkt drehte. »Hast du ihn gemacht?«
Susannah erzählte ihr von den tausend Papierkranichen und dass sie zehn pro Tag falten wolle, damit sie bis Weihnachten tausend fertighabe, die sie dann gemeinsam wie auf dem Bild auf der Schachtel zu Glücksketten aufziehen und irgendwo hinhängen konnten.
Lila starrte lange auf den Kranich, während Susannah und Jon Lila anstarrten. Susannah erinnerte sich an den Eindruck, dass ihre Mutter innerlich mit sich kämpfte und diesen Kampf schließlich verlor, weil sich ihre Augen mit Tränen füllten und sie ihren Stuhl vom Tisch wegschob und in ihr Zimmer ging. Sie schloss die Tür hinter sich und ließ die Karten ungeöffnet auf dem Tisch liegen und Jons violetten Kranich dort allein zurück.
Kurz darauf kam Tante Tessa vorbei. Sie sagte Susannah, sie habe das Richtige getan, es werde eben nur seine Zeit brauchen. Dann verbrachte Tessa eine lange Zeit im Zimmer ihrer Mutter, hinter der geschlossenen Tür, und Susannah und Jon versuchten, die murmelnden Stimmen und die Schluchzer zu ignorieren. Am nächsten Tag fand Susannah den rosa Kranich zusammengeknüllt im Papierkorb neben dem Bett ihrer Mutter. Sie erinnerte sich nicht gern daran.
»Hier.« Sie reichte ihrer Mutter eine andere, kleinere Schüssel mit den trockenen Zutaten. »Verrühr die mal, ja? Ich muss nach der Pfanne suchen, und ich muss Matt wecken. Die Kinder wollen dir die Insel zeigen. Es wird dir Spaß machen, alles zu sehen.«
»Oder ich könnte hierbleiben und dir beim Essenmachen helfen. Dann könnte Matt ein wenig Zeit allein mit den Kindern verbringen. Das würde uns die Möglichkeit geben, miteinander zu reden.«
»Ich brauch’ keine Hilfe, ich schaff’ das schon«, wehrte Susannah ab.
Sie wollte keinen Nachmittag mit ihrer Mutter im Cottage verbringen und beim Kartoffelschälen die Versuche ihrer Mutter abwehren, über Dinge zu reden, über die gut drei Jahrzehnte lang nicht gesprochen worden war; über Dinge, über die Susannah nicht reden konnte und wollte. Für all das war es jetzt zu spät.
»Geh du mit Matt und den Kindern. Vielleicht komme ich auch mit.«
Lila lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Plötzlich wirkte sie älter auf Susannah; die Falten gruben sich tief in ihr Gesicht, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Sie suchte den Blick ihrer Tochter, aber Susannah wandte sich ab und kramte nach der gusseisernen Pfanne.
»Gut«, sagte Lila. »Ich werde gehen.«
Den Nachmittag verbrachten sie damit, Lila alles zu zeigen – die Scheune, Jims Hütte, Shell Beach, den Waschsalon. Sie fuhren sogar zu Crane’s Point hoch, um ihr das Haus von Barfuß und das Boot zu zeigen, und beendeten ihre Tour mit einem Halt bei der Schule.
Katie hatte mit Hood angeln gehen wollen, aber Susannah hatte es ihr verboten. Sie wollte nicht, dass die beiden zu viel Zeit allein miteinander verbrachten. Und dies war ein Familienausflug, bei dem Katie dabei sein musste. Sie
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