Das Leuchten der Insel
führte sie zur Tür. Und dann sah Matt, der mit seinen Brüdern und Jon vorn in der Kirche stand, dass Susannah nur von ihrem Vater geführt wurde und ihre Mutter hinter ihnen herging. Er presste die Lippen zusammen, wartete einen Moment, bis sich die Brautjungfern vorn in der Kirche aufgereiht hatten, und ging dann unter dem überraschten Flüstern der Menge schnurstracks den Gang hinunter.
»Du bist schön«, flüsterte er Susannah zu. Und dann sagte er zu ihrem Vater: »Mr. McGilvra, Sie sehen gut aus. Großartiger Tag, nicht wahr?«
Seine Worte waren freundlich, aber in seiner Stimme klang ein unterschwelliger Zorn, der so erbittert war, dass Susannah zurückwich. Er ging um sie herum zu ihrer Mutter, zog Lila nach vorn und stellte sie wild entschlossen an Susannahs andere Seite.
»Wir alle lieben Susannah«, sagte er. »Also wollen wir gemeinsam mit ihr gehen.«
Und dann gab er ihnen einen Schubs, nickte dem Pfarrer zu, der dem Organisten ein Zeichen gab, und sie gingen alle vier den Gang entlang – Susannahs Eltern zu ihren beiden Seiten und Matt, der den Gästen lächelnd zunickte, hinter ihnen. Er war ihr Held gewesen, weshalb sie sich umso mehr verraten gefühlt hatte, als er es im vergangenen Jahr versäumte, sie auch Katie gegenüber zu verteidigen.
Sobald sie am Wiesenrand aus dem Wald kam, steuerte Susannah die Scheune an. Sie schob die schwere Holztür zur Seite und trat ein. Fahles Nachmittagslicht drang durchs Fenster. Sie ging zu ihrem unvollendeten Werk und betrachtete es. Ihre Vogelscheuche war ein knapp meterhoher Engel, zusammengesetzt aus Metallteilen, Holz und Glas. Angefangen hatte sie damit, dass sie auf ein Stück Weißblech das Gesicht eines Mädchens mit leuchtend rosa Lippen, goldbraunem Haar und durchdringenden braunen Augen gemalt hatte. Irgendetwas an den Augen hatte auf Susannah einen beseelten Eindruck gemacht, und so war aus einer Fahrradfelge samt Speichen ein Heiligenschein geworden, den sie mit angeschwemmtem Strandglas in Hellblau und Grün sowie mit glänzend rotem Kupferdraht verzierte. Anschließend hatte sie aus Metallschrott riesige Flügel geschnitten. Die Arme des Engels bestanden aus dünnen Leitungsrohren und der Körper aus einem langen farbenfrohen Patchwork-Kleid, gefertigt aus alten Konservendosen, bei denen die Farben und Aufschriften noch direkt auf das Blech und nicht auf Papieretiketten gedruckt worden waren. Susannah hatte sie aufgeschnitten, geglättet, Löcher hineingebohrt und die Teile dann mit Kupferdraht verbunden.
Sie arbeitete inzwischen seit drei Wochen daran, aber plötzlich sah sie die Engelsskulptur mit anderen Augen. Sie war ohne Frage schrullig. Vielleicht sogar kühn oder faszinierend, wie Jim möglicherweise sagen würde. Aber jetzt sah sie zum ersten Mal, dass der Engel mit dem breiten Lächeln, den braunen Augen und den gewellten Haaren ihre Schwester Janie darstellte, den Geist, der sie ständig verfolgte.
21. Kapitel
Betty 2011
B etty setzte sich in den Sessel vor Barfuß’ Kamin. Der weiße Sessel war bequem – ausladend und weich, aber nicht so tief, dass man darin versank und feststeckte. Barfuß holte den tibetischen Reisemedizinkoffer, den er als Beistelltisch benutzte, und stellte ihn neben ihren Sessel. Dann ging er in die Küche und kam mit einem Glas Weißwein für sie und einem Bier für sich zurück. Er stellte sein Bier auf den Kaminsims und bückte sich, um einen weiteren Holzscheit ins Feuer zu legen. Das Holz knackte, und die Flammen loderten auf und züngelten nach oben, wobei sie ein rötlich-goldenes Licht auf die noch immer fein geschnittenen Wangenknochen und den Kiefer von Barfuß warfen. Er war ein schöner Mann, trotz seiner Stirn- und Augenfalten und dem jetzt weiß gewordenen Haar. Sie wurde es nie müde, sein Gesicht zu betrachten.
Er nahm sein Bier und setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel.
»Ist Katie diese Woche hier gewesen?«, fragte Betty.
»Nein. Allerdings hat sie mir vor ein paar Tagen einen Brief mit einer Entschuldigung unter der Tür durchgeschoben.«
Betty trank einen großen Schluck von dem Wein. »Der ist aus Trauben gemacht«, sagte sie und blickte ihn über das Glas hinweg an.
Er schüttelte den Kopf: »Aus Hagebutten. Magst du ihn?«
Sie nickte: »Er schmeckt sehr gut.« Sie trank noch einen Schluck. »Was wirst du Katie sagen?«
»Ich werde ihr sagen, dass ich ihr nicht trauen kann und nicht will, dass sie weiter für mich arbeitet.«
Betty stellte ihr Glas auf den
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