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Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)

Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Und meiner Mutter ging es nicht anders. Wir wollten einfach einen Schlussstrich ziehen.«
    »Nein, das finde ich gar nicht seltsam. Meine Großmutter, Philips Mutter, hat es genauso gemacht. Sie hat meiner Mutter und mir nichts von der ganzen Geschichte erzählt. Anscheinend waren meine Großtante und meine Großmutter heillos zerstritten.«
    Marjorie nickte. »Schlimm, wenn Schwestern sich so überwerfen. Darunter leiden dann auch alle anderen. Ich hoffe nur, dass Bette ihr Glück gefunden hat.«
    »Ich wünschte, ich hätte sie gekannt«, sagte Julie betrübt.
    »Ja, sie war ein ganz besonderer Mensch.« Marjorie hielt inne und schien einen Augenblick zu überlegen. Schließlich sagte sie: »Möchten Sie gern mehr über das Leben im Lager erfahren? Wie es uns allen erging und warum Bette so erbittert um Philip kämpfen musste?«
    »Ja, sehr gern«, erwiderte Julie leise.
    »Jahrelang dachte ich, man sollte nicht über die Vergangenheit sprechen. Komm drüber weg, lebe dein Leben weiter, war meine Devise. Aber jetzt, wo ich älter werde, will ich nicht, dass die Taten dieser Frauen oder auch die der Japaner in Vergessenheit geraten. Ich glaube, ihre Geschichte sollte erzählt werden.«
    Marjorie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und schob Julie ihre Kaffeetasse hinüber. »Schenken Sie uns doch noch mal nach, dann erzähle ich Ihnen, wie ich Bette und Philip kennengelernt habe.«

Kapitel 9
    Sarawak, 1942
    S tumm trotteten Marjorie und ihre Mutter Evelyn im Gänsemarsch hinter den anderen Frauen her. Bald sollte ihre Welt zu einem von Stacheldraht umzäunten, heißen und staubigen Gefängnis schrumpfen, das wussten sie.
    »Mit dem ganzen Maschendraht sieht es wie ein verdammter Hühnerstall aus«, murmelte eine der Frauen.
    »Ich will mich einfach nur noch hinsetzen, meine Füße tun so weh«, stöhnte eine andere.
    »Stacheldraht! Und seht euch mal die Wachen da oben an.«
    Die Gruppe blickte empor zu einem Turm, wo ein bewaffneter Soldat zusah, wie sie sich langsam dem Haupttor näherten, vor dem weitere Soldaten warteten. Die Frauen verstummten wieder, ihre Internierung war Realität geworden. Was sie vor allem schockierte, waren die schmerzverzerrten, traurigen Gesichter der Gefangenen, die an den Zaun gekommen waren.
    Eine von ihnen streckte den Neuangekommenen die Hände entgegen. »Taschen! Sie haben Koffer. Habt ihr Essen dabei?«, rief sie.
    »Und Medikamente?«, schrie eine andere.
    »Um Himmels willen, was ist da los? Ich habe nicht genug, um zu teilen. Mein Baby braucht das.« Eine der Neuen umklammerte ängstlich ihre schwere Tasche, die kostbare Dosen mit Milchpulver enthielt.
    Evelyn ging langsam, von Schmerz und Fieber gebeugt. Ihr folgte Marjorie, die außer dem Koffer ihrer Mutter auch noch ihre Umhängetasche schleppte. Das schlaksige Mädchen mit dem langen Zopf war völlig verstört. Ihre Mutter hatte versucht zu erklären, was ihnen bevorstand, aber Marjorie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein würde, eingesperrt zu sein.
    »Aber warum, Mummy? Was haben wir denn falsch gemacht? Und wo ist Dad?«
    »Wir haben nichts falsch gemacht, Marjorie. Vergiss das nie. Und ich bin mir sicher, dass es deinem Vater gutgeht. Es ist schlimm, wenn Erwachsene gegeneinander kämpfen. Wenn sie Krieg führen, weil sie den anderen ihr Land wegnehmen wollen, müssen unschuldige Menschen darunter leiden. Und leider sind das wir. Wir sind den Japanern im Weg. Aber man wird uns nicht vergessen. Wir werden gerettet werden, und dann wird alles so sein wie früher. Du musst nur tapfer sein, bis wir hier wieder rauskommen«, sagte ihre Mutter mit müder Stimme.
    Als Marjorie vor dem Tor stand, blickte sie auf das seltsame abgesperrte Terrain. Es sah nicht so aus, wie man sich ein Gefängnis vorstellte. Weder gab es große Betongebäude noch hohe, solide Mauern. »Wie lange müssen wir hier warten?«, fragte sie, als die Prozession anhielt.
    Drei bewaffnete Soldaten kamen auf sie zu. Befehle ertönten, aber Marjorie achtete nicht darauf. Es war, als wäre alles um sie herum hinter einem Schleier verborgen, nur eine Szene weiter vorne am Zaun erschien ihr wie mit einem Scheinwerfer hell ausgeleuchtet. Ein kleiner Junge, etwa drei Jahre alt, kniete vor dem Drahtzaun und versuchte an ein Spielzeug zu kommen, das er wohl durch die Drahtmaschen gedrückt hatte. Marjorie stellte das Gepäck ab und ging zu ihm. Sie hob den kleinen blauen Elefanten auf und schob ihn durch den Maschendraht zurück. Der Junge nahm ihn und

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