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Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)

Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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unermüdlich, um uns zu schützen.«
    »Und meine Großtante Bette? Gehörte sie auch zu diesen Frauen?«
    Marjorie lächelte. »Sie war eine der besten. Eine echte Führernatur, trotz ihres Alters, sie war ja erst einundzwanzig. Sie riskierte Kopf und Kragen. Wenn es darum ging, Philip zu beschützen, wurde sie zu einer wilden Tigerin. Eigentlich erstaunlich, wenn ich es recht bedenke. Philip war schließlich ihr Neffe, nicht ihr eigenes Kind, aber sie hätte nicht mehr für ihn tun können.«
    »Ich würde so gern mehr über sie und Philip erfahren«, sagte Julie.
    »Das verstehe ich. Als mich Martine und Shane anriefen und ein Treffen mit Ihnen vorschlugen, war ich von der Idee sehr angetan, und der Flug von Penang dauert ja auch nicht lange. Aber bevor ich Ihnen von Bette und Philip erzähle, möchte ich Ihnen etwas zeigen.«
    Marjorie nahm ein flaches Kästchen vom Kaffeetisch. »Ich dachte, das würden Sie sich gern ansehen.« Sie reichte Julie das Kästchen.
    Julie öffnete es. Darin lag, in Seidenpapier eingeschlagen, ein vergilbtes Stück Papier. Behutsam wickelte Julie es aus. Es war eine Zeichnung darauf, die ein junges Mädchen und einen kleinen Jungen zeigte. Sie saßen auf einer Art Treppe und aßen mit Stäbchen Reis aus Schalen. Beide waren abgemagert, ihre Kleider fadenscheinig, und sie trugen keine Schuhe. Aber ganz offensichtlich mochten sich die beiden, in der Art, wie sie einander beim Essen zusahen, offenbarte sich ihre Vertrautheit. Ganz oben stand: »Alles Gute zum Geburtstag, Marjorie!«
    »Bette hat mir diese Geburtstagskarte gemacht. Die Zeichnung stellt Philip und mich dar. Ich weiß nicht, wie sie an das Papier gekommen ist, so etwas war im Lager nicht leicht zu beschaffen. Es war sogar ein gefährliches Geschenk, weil die Japaner verhindern wollten, dass die Gefangenen das Lagerleben irgendwie dokumentierten. Man durfte kein Tagebuch führen, keine Zeichnungen machen, nichts dergleichen. Nachdem Bette mir die Karte gegeben hatte, nähten wir sie sicherheitshalber in mein kleines Kissen ein. Die Japaner haben sie nie gefunden, und so habe ich sie heute noch.«
    Während Julie die Karte betrachtete, ging ihr auf, dass die Kinder zwar dünn waren, beide aber sehr lebendig wirkten.
    »Es ist kaum zu glauben, dass ich eine Zeichnung meiner Großtante in der Hand halte, auf der mein Onkel zu sehen ist. Wissen Sie, wie sie in diesem Lager in Sarawak gelandet sind?«
    »Nein, über die Umstände habe ich nie etwas erfahren. Bette erschien mir so viel älter als ich, obwohl uns nur neun Jahre trennten. Deshalb haben wir nicht wie Freundinnen miteinander gesprochen. Ohnehin haben die Leute selten von ihrem Leben vor dem Lager erzählt, das war einfach zu schmerzlich.«
    »Es tut mir leid, wenn ich schlimme Erinnerungen heraufbeschwöre«, sagte Julie hastig.
    »Ist schon gut. Das ist einfach ein Teil von meinem Leben. Ich habe damit abgeschlossen und denke kaum noch daran. Aber hin und wieder, wenn mir diese Tage in der Gefangenschaft in den Sinn kommen, versuche ich an das Gute zu denken und an die guten Menschen. Es war wirklich erstaunlich, wie diese Frauen für Zusammenhalt sorgten, wie sie einander halfen und das wenige, was wir hatten, teilten.«
    »Es muss schrecklich gewesen sein, als junges Mädchen in einem Gefangenenlager aufzuwachsen«, sagte Julie.
    »War es auch«, seufzte Marjorie. »Und Ihre Tante hat dort auch mir geholfen. Sie war sehr klug. Und geistesgegenwärtig. Schade, dass der Kontakt zu ihr nach dem Krieg abgerissen ist. Aber wir waren eben alle darauf bedacht, zu unserem normalen Leben zurückzukehren, nachzuholen, was wir versäumt hatten. Mit Philip bin ich in Verbindung geblieben, er hat meine Familie besucht, als er in Großbritannien auf dem Internat war. Aber als ich es endlich wieder nach Malaysia geschafft habe, um Philip und Stephanie in ihrem Haus in Langkawi zu besuchen, war Bette längst fort. Mir gefiel es in Langkawi so gut, dass ich regelmäßig wieder hergeflogen bin und mir nach dem Tod von Philip und Stephanie eine Wohnung in Penang gekauft habe. Ihre Söhne hatte ich von jeher ins Herz geschlossen, und wenn ich hier bin, nehmen sie mich unter ihre Fittiche.«
    »Außer Philip haben Sie also niemanden mehr aus dem Lager getroffen?«
    Marjorie überlegte. »Ich weiß, Ihnen muss das seltsam vorkommen, vor allem nachdem wir so viel durchgemacht hatten. Aber ich war ein Teenager, und ich wollte zurück zu meiner Familie, nach Hause, zurück zur Normalität.

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