Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
drin!« Ein Foto zeigte einige Bilder von Bette.
»Wow, schaut euch das an! Die sind ja phantastisch«, rief Caroline.
In der Galerie herrschte reges Treiben, als Julie und ihre Eltern durch die Tür traten.
»Scheint ein angesagter Laden zu sein«, meinte Julie.
»Seht euch nur diese wunderschönen Blumen an.« Caroline blieb neben Kästen mit Tropenblumen und Gestellen mit Orchideen stehen.
Ein hübsches Mädchen kam mit einem Tablett auf sie zu und bot Champagner an. Jeder nahm sich ein Glas, dann schauten sie sich in der Galerie um, die sich nach und nach mit schick gekleideten Gästen füllte. An einem Tisch erhielten sie Namenskärtchen, die für Julie und Caroline waren schon vorbereitet, für Paul wurde noch rasch eins geschrieben.
Nach wie vor trafen Besucher ein, als Julie Caroline anstupste. »Das muss sie sein.« Mit einem Nicken wies sie auf eine ältere Dame im Rollstuhl, die sich am anderen Ende des Raumes mit ein paar Leuten unterhielt. »Schauen wir uns erst mal die Bilder an«, schlug Julie vor.
Sie ließen sich für ihren Rundgang Zeit und betrachteten eingehend die Bilder, von denen jedes einzelne tiefe Leidenschaft ausstrahlte. Unter Pilzen und Borke leuchteten Blüten in lebhaften Farben. Bizarre tierähnliche Pflanzen lauerten im dunklen Laub zwischen Lianen und modernden, flechtenbewachsenen Stämmen.
»Man hat das Gefühl, als könnte man in die Gemälde hineingehen«, staunte Julie.
»Wirklich bemerkenswert«, stimmte Caroline zu.
»Freut mich, dass Sie das so empfinden«, sagte eine Stimme hinter ihnen.
Sie drehten sich um.
Die Frau, die sie angesprochen hatte, streckte ihnen die Hand entgegen. »Ich bin Cyndi George, die Galeristin. Wir sind sehr stolz auf diese Ausstellung. Darf ich Ihnen die Künstlerin vorstellen?«
Bevor Caroline und Julie ein Wort herausbrachten, deutete sie auf die Frau neben sich. »Das ist Mrs. Tsang oder Bette Oldham – so lautet ihr Künstlername.«
Mutter und Tochter starrten Bette wortlos an. Für Caroline gab es nur verschwommene Kindheitserinnerungen an ihre Tante. Julie musste an Gespräche denken, die sie geführt, an Geschichten, die sie gefesselt hatten. Jetzt war ihr, als sehe sie einen Geist. Aber in Bettes Lächeln und ihrem direkten Blick erkannte Julie die starke, faszinierende junge Frau, von der sie sich durch die Erzählungen und ihre schriftlichen und gemalten Zeugnisse bereits ein Bild gemacht hatte.
Die Pause war so lang, dass Cyndi George sie fragend musterte. Normalerweise stürzten sich Galeriebesucher mit Begeisterung auf anwesende Maler.
»Und Ihr Name ist?« Forschend sah sie Caroline und Julie an, die den Blick nicht von der hochgewachsenen Dame wenden konnten, die vor ihnen stand.
Bette sah apart aus, sie hatte sich von der hübschen jungen Frau zu einer Altersschönheit entwickelt, die ohne jede Selbstgefälligkeit zufrieden mit sich selbst wirkte. Ihre aufrechte Haltung schien zu sagen: Hier bin ich, eine Frau, die ihren eigenen Weg gegangen ist. Eine Frau, die nichts bereut, niemandem Schuld zuweist und die ihre Angelegenheiten erledigt hat.
Es war Bette, die das Schweigen brach. »Ich weiß, wer ihr seid.«
Lächelnd griff sie nach Carolines Hand. »Was für eine schöne Frau du geworden bist! Ich hatte immer gehofft, dich einmal wiederzusehen. Du warst so ein süßes Kind.« Dann wandte sie sich Julie zu. »Und du bist bestimmt Julie? Ja, die Ähnlichkeit ist nicht zu verkennen.« Sie gab Julie einen Kuss auf die Wange, ehe sie Caroline umarmte.
Sie war also nicht die gebrechliche Frau im Rollstuhl, wie sie ursprünglich vermutet hatten. Auffällige weiße Strähnchen zogen sich durch das Grau von Bettes Kurzhaarfrisur, die modern wirkte, obwohl sie von den zwanziger Jahren inspiriert war. Sie trug eine maßgeschneiderte dunkle Hose. An ihrer Bluse mit den lila Rüschen am Kragen steckte eine große goldene Tigerbrosche, diamantbesetzt und mit Rubinaugen. An den Fingern hatte sie schöne Ringe. Obwohl sie sehr schmal gebaut war, passte der Schmuck zu ihr. Einziger Hinweis auf ihr Alter war der Stock aus Ebenholz mit Silberknauf, auf den sie sich ein wenig stützte.
Cyndi musterte die drei verblüfft. »Sie sind also alte Freunde?«
»Sozusagen.« Caroline lächelte, aber ihr standen Tränen in den Augen. Im Ansturm der Gefühle wünschte sie, auch Margaret wäre hier. Ganz gleich, was sich früher zwischen den Schwestern abgespielt hatte, es wäre schön gewesen, wenn ihre Mutter diesen Augenblick hätte
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