Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
irgendeiner Zeremonie teilnehmen. Eine Beisetzung, glaube ich. Deshalb sind sie zum Ruming-Langhaus gefahren, was uns ein paar Tage kostet. Aber der Transport von Kuching zum ersten Zwischenstopp läuft wohl planmäßig. Leider muss ich auch noch Bürokram erledigen. Expeditionen ins Hinterland zu organisieren ist ein Riesenpapierkrieg mit den Behörden. Jedes Mal, wenn man meint, man hätte endlich alles Nötige eingereicht, lassen sie sich etwas Neues einfallen.«
»Verstehe. Das klingt frustrierend.«
»Ist es auch, aber wir werden es schon schaffen. Tut mir leid, dass sich die Abreise verzögert. Ich überlege mir ein Unterhaltungsprogramm für dich, solange wir in Kuching festsitzen«, versprach David.
»Bitte nicht, du hast genug zu tun, und für mich ist das gar nicht schlecht. Angie aus dem Museum hat mich nämlich zu einer Fahrt ins Tierschutzgebiet eingeladen, und ich würde gern zusagen.«
Er sah sie forschend an. »Du bist aber von der schnellen Truppe! Ein Dschungelspaziergang mit den Waldmenschen … nur zu. Ich hatte gehofft, dass ich dich selbst begleiten könnte, aber ich möchte in Kuching erreichbar bleiben, falls die Behörden neue Wünsche anmelden. Du kannst mir dann ja morgen beim Abendessen erzählen, wie es war.«
Julie hätte am liebsten erwidert, dass sie schon andere Pläne hatte. Wie gerne hätte sie die nette Angie Ping zum Essen eingeladen, doch sie wollte David nicht kränken – immerhin hatte er die Reise organisiert und kümmerte sich um sie. Also sagte sie: »Klingt gut. Ich melde mich. Und heute Nachmittag sehe ich mir den Rest der Stadt an. Kuching ist super.«
Kapitel 6
Kuching, 2009
A ngie fuhr mit Julie auf einer gut asphaltierten Straße aus Kuching hinaus, doch binnen Minuten gewann der Dschungel die Oberhand. Wie ein lebendes Bollwerk trennte das bis an die Städte und Dörfer heranwuchernde dunkle Grün die Menschen, die an seinen Rändern lebten, von den Urwaldbewohnern.
»Sehr nett von Ihnen, mich in das Orang-Utan-Reservat mitzunehmen. Ich freue mich schon so darauf«, bedankte sich Julie.
»Es ist mir ein Vergnügen. Ich fahre immer wieder gern dorthin, um meine Freunde zu besuchen«, erwiderte Angie.
»Sie meinen Leute, die fest dort arbeiten?«
»Ja, auch. Aber die Orang-Utans zähle ich ebenfalls dazu. Warten Sie’s ab, sobald Sie sie gesehen haben, verstehen Sie, was ich meine. Zu den Fütterungszeiten tauchen meistens ein paar von ihnen auf.«
»Und was für Tiere leben dort drüben?«, fragte Julie und wies auf den Dschungel.
Angie warf einen raschen Blick zu ihr hinüber, ehe sie sich wieder auf die Straße konzentrierte. »Malaienbären, Affen, kleine nachtaktive Geschöpfe, Faulaffen, Vögel, ganz zu schweigen von den vielen Insekten, Fledermäusen und Reptilien. Doch die Artenvielfalt geht zurück, hauptsächlich wegen der Rodungen, die ihren Lebensraum verkleinern. Aber auch Tierfänger waren schon immer ein Problem. Der illegale Handel mit lebenden Tieren ist widerlich.«
»Wie schrecklich. Und nützen die Schutzgebiete etwas?«, fragte Julie.
»Auf jeden Fall. Einige Orang-Utans können sich in der Wildnis nicht selbst versorgen, und manche Mütter haben nie gelernt, ihren Nachwuchs aufzuziehen. Deshalb sind viele auf die Fütterungsstellen im Reservat angewiesen. Das sind natürlich Touristenmagneten, denn dort kann man die Affen aus nächster Nähe beobachten. In einem guten Jahr mit großem Nahrungsangebot bleiben die Orang-Utans allerdings oft im Wald, und weil sie dann auf Futtersuche ein großräumiges Gebiet durchstreifen, kann es sein, dass die Besucher des Reservats sie gar nicht zu Gesicht bekommen. Es ist ein bisschen eine Glückssache.«
»Und Sie sind schon seit einer ganzen Weile regelmäßig dort? Dann müssen Sie die Tiere ja recht gut kennen.«
Angie lächelte. »Ja, ich hab meine Lieblinge und bilde mir gern ein, dass ich zu manchen von ihnen eine besondere Beziehung habe. Vielleicht kann ich Ihnen ja einige vorstellen.«
Julie nickte.
Als sie das Reservat erreichten, war Julies erster Gedanke, dass es mit dem hübsch gestalteten Eingang, den Verwaltungsgebäuden, der kleinen Cafeteria, dem Informationszentrum und dem Souvenirshop sehr touristisch wirkte. Schilder wiesen die Wege vom Parkplatz durch das Schutzgebiet. Doch als Julie den Blick nach oben hob, sah sie, dass ringsum undurchdringlicher Regenwald war. Kaum zu glauben, aber nicht weit von der modernen Zivilisation entfernt fing eine Welt an, die älter
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