Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
Wasserfall herumtragen«, erklärte David, der schon seinen Rucksack schulterte.
»Und dann?«, fragte Julie.
»Oben wartet ein anderer Einbaum auf uns«, erwiderte Chitra und stieg ungeachtet ihrer teuren Schuhe geschmeidig ins knietiefe Wasser.
»Okay.« Vorsichtig stieg Julie ebenfalls aus und drehte sich nach ihrem Rucksack um. Doch der alte Mann winkte ab und nahm Julie am Arm, um sie sicher Schritt für Schritt über die glitschigen Steine zu einem großen trockenen Felsen zu geleiten, während Ngali den Einbaum zum Ufer zog. Wortlos reichte Ayum ihr den Rucksack und half dann seinem Sohn, den Einbaum näher an Land zu ziehen.
Sie häuften das ganze Gepäck auf den großen flachen Felsen und trugen dann unter Ngalis Führung die Rucksäcke und die übrige Ausrüstung über einen Trampelpfad die Anhöhe hinauf. Der Weg war kaum dreißig Zentimeter breit und führte in einer Biegung wieder zurück zum Fluss. Inzwischen brannte die Sonne vom Himmel, und Julie schwitzte. Hingegen ging Chitra trotz wasserdurchtränkter Schuhe leichten Schrittes vor ihr her und schien sich frisch und wohl zu fühlen. Anschließend kehrten die beiden Bootsführer noch einmal um und holten den Motor und Benzinkanister.
»Wo steht das Taxi?«, scherzte David.
Chitra sprach mit den Bootsführern, die nickten und sich ins Gras setzten, um zu rauchen.
»Es wird bald jemand hier sein«, sagte sie. »Was Minuten oder Stunden heißen kann.«
Daraufhin schraubten alle ihre Wasserflaschen auf, und sie teilten sich ein Päckchen Kekse.
»Das Wasser sieht ganz ruhig aus, kann man hier schwimmen?«, fragte Julie.
Matthew schüttelte den Kopf. »Das würde ich lieber bleiben lassen. Man weiß nie, wem man dort begegnet.«
Ayum neigte den Kopf zur Seite. »Kommen.«
»Ein Boot kommt? Ja, stimmt, ich höre es«, sagte Julie.
Das Geräusch wurde lauter, und schließlich tuckerte ein Einbaum um die Flussbiegung, gelenkt von einem Iban, der noch älter als Ayum war. Selbst auf die Entfernung sah Julie, dass der Einbaum kleiner war als der andere und tiefer im Wasser lag, ganz als ob er ein Leck hätte.
Und sie schien recht zu haben. Als sie alles verstaut und sich gesetzt hatten, lag das Dollbord nur Zentimeter über der Wasseroberfläche. Beim Festhalten wurden Julies Fingerspitzen nass.
»Kein Umsteigen mehr«, bemerkte David fröhlich.
»Ist dir aufgefallen, wie das Boot nach jedem Umstieg mehr leckgeschlagen war?«, fragte Matthew.
»Oje«, stöhnte Julie.
»Der Fluss ist um diese Jahreszeit sehr seicht, deshalb können die Boote ihn nicht durchgehend befahren. Während des Monsuns kommt man in einem Rutsch durch«, erklärte Chitra.
»Ganz schön langer Weg zum Bäcker«, grummelte Barry.
»Wolltest du nicht etwas Abgelegenes, Traditionelles, Pittoreskes sehen?«, scherzte David.
Nun fuhr ihr Einbaum nahe am Ufer entlang, wo plötzlich gellendes Kreischen ertönte und eine Affenhorde sich schimpfend und schreiend durchs Geäst schwang. Und dann erblickte Julie zwei Iban, die mit ihren Fischernetzen hantierten. Hinter einer weiteren Flussbiegung sah sie dann zum ersten Mal ein Langhaus unter den Bäumen, ein aufwendig konstruiertes Holzgebäude mit Schilfdach, dessen Länge Julie verblüffte. An der Uferbank daneben lagen Einbäume und kleine Praue.
»Da weht eine weiße Flagge. Was bedeutet das?«
»Keine Besucher. Gastfreundschaft ist hier am Fluss selbstverständlich, solange man die Gepflogenheiten wahrt und offiziell vom Stammesoberhaupt eingeladen wird. Eine weiße Flagge allerdings signalisiert, dass etwas nicht stimmt – das kann eine Krankheit sein, ein Todesfall, oder es gibt eine Zeremonie, bei der Besucher stören«, erklärte Chitra. »Gut, dass wir nicht hierher wollten.«
Julie betrachtete das Gebäude, das auf hohen Stelzen vor ihr aufragte. »Faszinierend. Diese Lebensweise ist so anders«, sagte sie zu Chitra.
Chitra sah über die Schulter zu ihr. »Ja, das stimmt. Aber sie verschwindet. Ist im Wandel begriffen. Deshalb ist es so wichtig, dass die noch existierenden Familienstrukturen und Gebräuche dokumentiert werden. Bald wird das nicht mehr möglich sein. Es ist eine Schande, was in manchen Gebieten passiert. Aber Sie werden es bald selbst sehen.«
Julie lehnte sich zurück und ließ die friedliche Szenerie auf sich wirken, während sie weiter den inzwischen schmal gewordenen Fluss entlangtuckerten. Der dichte Dschungel erschien ihr wie ein grüner Vorhang, der sich nach links und rechts teilte und
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