Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
Finger. Es ließ auch nicht los, als Angie die Hand anhob, sondern umklammerte nun ihren Arm.
Während Angie, aufmerksam beobachtet von der Orang-Utan-Mutter, das Baby hielt, streichelte ihm Julie sanft über Kopf und Rücken. Mit großen runden Augen sah das Kleine sie an. Einen Moment lang hatte Julie das Gefühl, es mit einem menschlichen Baby zu tun zu haben, das sie so vertrauensvoll anblickte und das Mündchen spitzte.
Doch schon beugte sich Booma vor, holte sich ihr Kind zurück und drückte es besitzergreifend an die Brust. Hingerissen sah Julie dann, wie die alte Mutter sich hinunterbeugte und das Baby sacht auf den Kopf küsste. Was für eine vertraute Geste! Gleich darauf sprang Booma in großen Sätzen quer über die Lichtung, ein Arm baumelte lose herunter, mit dem anderen hielt sie ihr Kleines. Im Nu hatte sie einen Baum erklommen und war verschwunden.
»Ich kann gar nicht glauben, dass das gerade passiert ist«, murmelte Julie ehrfürchtig.
Angie richtete sich auf. »Diese Geschöpfe lassen mich immer wieder staunen. Sie und die Schimpansen sind biologisch am engsten mit uns verwandt, und jedes der Tiere hat seine ganz eigene Persönlichkeit, seine Gewohnheiten und Eigenheiten.«
Die beiden Frauen gingen zurück zum Parkplatz.
»Danke, Angie. Wenn man Orang-Utans einmal tatsächlich begegnet ist, weiß man, warum Menschen sich so leidenschaftlich für ihren Schutz einsetzen. Es sind wunderschöne Tiere. Und man fühlt sich ihnen wirklich verwandt.«
»Ich freue mich, dass alles so gut geklappt hat. Das ist nicht selbstverständlich. Melden Sie sich, wenn Sie von ihrem Ausflug flussaufwärts zurück sind«, sagte Angie. »Aber jetzt fahre ich Sie erst einmal in die Stadt zurück.«
Der große, breite Strom floss schnell dahin. Ein starker Außenbordmotor am Heck trieb den Einbaum, einen ausgehöhlten Baumstamm mit ein paar quer gelegten, an die Seiten genagelten Planken, durch das schlammige Wasser. Weil das Boot so schmal war, saßen sie hintereinander und hatten links und rechts trotzdem kaum eine Handbreit Platz.
Im Morgengrauen waren sie in Kuching aufgebrochen und zu einem kleinen Dorf gefahren. In einem alten Fort der Brooke-Radschas, das noch immer über dem Fluss thronte, befand sich jetzt das örtliche Postamt. Dort hatten die beiden Bootsführer, Vater und Sohn, auf sie gewartet und sie zum Fluss hinuntergeführt, wo sie ihren Einbaum festgemacht hatten.
Jetzt hielt einer der Bootsführer vorn am Bug Ausschau nach Treibgut, Felsen und Untiefen. Ngali, ein junger Iban, nahm seine Aufgabe sehr ernst. Hin und wieder schnellte sein linker oder sein rechter Arm in die Höhe, um anzuzeigen, dass die gekräuselte Wasseroberfläche auf Untiefen oder Felsen schließen ließ. Ayum, der alte Mann hinten am Ruder, wich dann entsprechend aus.
Hinter dem Ausguck saß Barry mit der gezückten Kamera, dahinter Matthew, David und die Iban-Dolmetscherin, Julie bildete das Schlusslicht. Die Iban-Bootsführer lebten in einem Langhaus, das Matthew und David schon einmal besucht hatten; das dortige Stammesoberhaupt hatte ihnen erlaubt wiederzukommen.
Als Julie Matthews und Davids Dolmetscherin kennenlernte, war sie überrascht. Chitra war eine große, elegante, schöne Malaysierin zwischen zwanzig und dreißig. Sie trug Jeans, eine hellblaue Bluse und eine Baseballmütze, ein Designergürtel betonte ihre schmale Taille. Das dichte dunkle Haar fiel ihr in einem Zopf über die Schulter, hinter ihrer Sonnenbrille verbargen sich große braune Augen, dazu zierten mehrere kunstvolle Kettchen und Armreifen ihre seidigen dunklen Arme – sie sah aus wie ein Bollywoodstar auf Safari. An den Füßen trug sie teure Wanderstiefel aus weichem Leder.
»Chitra arbeitet an der Swinburne University in Kuching. Sie hat an der Swinburne in Melbourne studiert und ist zurückgekehrt, nachdem die Universität hier einen Ableger gegründet hat«, hatte David erklärt, als er sie Julie vorstellte.
»Wie schön, Sie kennenzulernen, Julie«, sagte Chitra. »Sie freuen sich bestimmt schon auf Ihren ersten Besuch in einem Langhaus?«
»O ja. Sie waren wohl schon oft in der Gegend dort oben?«
»Ja, ich habe eine Zeitlang Volkskunde studiert. Zwar kann ich mehrere Stammessprachen, aber am besten spreche ich Iban.«
»Wir haben Chitra während ihres Studiums in Melbourne kennengelernt und sind dann in Kontakt geblieben«, ergänzte Matthew. »So, nun laden wir erst mal ein.«
Beim hektischen Verstauen der Rucksäcke und der
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