Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
Ausrüstung in dem schmalen, wackeligen Boot hatte Julie keine Gelegenheit gehabt, Chitra weitere Fragen zu stellen. Die Malaysierin bewegte sich auf elegant-lässige Art und schien sich in dem grob zugehauenen Boot ganz zu Hause zu fühlen. Julie hingegen klammerte sich anfangs krampfhaft an den Seitenwänden fest, weil sie befürchtete, der Einbaum könnte umkippen. Doch als das Boot erst einmal Fahrt aufgenommen hatte und sie den Wind im Gesicht spürte, als keine Siedlungen und keine anderen Boote mehr zu sehen waren, fühlte sie sich endlich im echten, unberührten Dschungel angekommen, wie sie ihn sich immer ausgemalt hatte. Nun begann sie die Fahrt zu genießen.
Der Urwald fing gleich am Flussufer an, da war nicht einmal ein Fingerbreit Platz zwischen undurchdringlichem Dickicht und dem Wasser.
»Gibt es hier Krokodile?«, rief sie Matthew laut zu, um den Motorlärm zu übertönen.
»Und Schlimmeres«, brüllte er zurück.
Da es zu schwierig war, sich zu unterhalten, beobachtete Julie von ihrem Sitz aus, wie Barry die Landschaft filmte. Sie fuhren zu schnell, um wilde Tiere zu sehen, obwohl manchmal Vögel aufflogen, wenn sie vorbeibrausten. Aber einmal stellte der alte Mann den Motor ab, und als sich alle beunruhigt zu ihm umdrehten, wies Ayum zum Himmel. Barry hob sofort die Kamera.
Zwei Nashornvögel mit den unverkennbaren rötlichen Hörnern auf den langen gebogenen Schnäbeln sausten im Sturzflug herab und wurden zu dunklen Silhouetten mit langen Schwanzfedern, als sie ins Wasser tauchten. Dann stiegen sie wieder auf, mit gellenden Schreien, die in Julies Ohren wie wildes, hysterisches Gelächter klangen.
Dann sah sie, wie der ältere Bootsführer fahrige Handbewegungen über dem Kopf machte, womit er dem Jungen vorne etwas zu verstehen geben wollte. Fragend blickte sie Matthew und David an, doch es war Chitra, die schließlich die Erklärung lieferte.
»Früher haben sie Nashornvögel gejagt, um sich die Schwanzfedern in den Kopfschmuck zu stecken. Und eine Art war wegen des Horns auf ihrem Schnabel begehrte Beute, denn es war hart und goldfarben. Man nannte es goldenes Elfenbein und schnitzte daraus alle möglichen Dinge. Die Chinesen betrachteten es als Glücksbringer, für sie war es noch kostbarer als Jade.«
»Sie kennen sich gut aus. Wie kamen Sie darauf, die Iban zu studieren?«
»Ich bin in Sarawak aufgewachsen. Mein Vater war Beamter. Meine Mutter hat zwar in Indien Medizin studiert, aber in Melbourne praktiziert. Dort hat sie meinen Vater kennengelernt und ist mit ihm hierher gezogen. Sie war dann als Amtsärztin tätig und hat geholfen, Kliniken und Krankenstationen für die Dorfbewohner im Landesinneren zu errichten. Mein Vater ist immer noch im Staatsdienst.«
»Und Sie arbeiten an der Universität?«
»Ja, ich bin Dozentin. Das Dolmetschen mache ich nur nebenbei«, antwortete Chitra. »Es macht mir viel Freude, wenn ich dabei in die entfernteren Winkel des Landes komme.«
Als der Motor stotternd ansprang, richteten sie ihr Augenmerk wieder auf den Fluss, der inzwischen klarer und schmäler geworden war und noch schneller floss. Wenig später schien das Wasser förmlich zu brodeln, vor ihnen ragten Felsen wie scharfkantige Trittsteine aus dem Fluss. An einer Stelle schrammte das Boot hörbar über Steine. Ayum stellte den Motor ab und kippte ihn ins Boot, so dass die Schraube aus dem Wasser war. Daraufhin zog Ngali eine lange Stange unter den Sitzen hervor und begann damit zu staken.
Auch David und Matthew ergriffen Stangen, standen auf und halfen mit, den schweren Einbaum flussaufwärts zu bewegen, während Barry das Ganze filmte. Als das Boot dann in ein tiefes Becken sackte, warf Ayum den Motor wieder an, und sie schossen über die Steine hinweg, dass das Kielwasser weiß schäumte.
Noch zweimal mussten sie staken, bis sie schließlich zwischen zwei Felsen festsaßen und nichts mehr vorwärts oder rückwärts ging. Chitra übersetzte Ayums Anweisungen: Alle mussten aus dem Einbaum aussteigen und ihn stolpernd und rutschend über das glitschige Geröll und zwischen den Stromschnellen hindurchschieben. Als dann wieder tiefes, ruhigeres Wasser vor ihnen lag, kletterten sie zurück in ihr Gefährt und fuhren weiter.
Eine Weile später erstarb der Motor erneut. »Da geht’s nicht weiter«, rief Julie. Sie befanden sich unterhalb eines kleinen Wasserfalls, der über Felsen plätscherte. »Was nun?«
»Zu Fuß über Land«, seufzte Matthew.
»Wir müssen unsere Sachen um den
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