Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
tanzenden Paaren hindurch
zu einer freien Stelle. Dann begann er mit einer unglaublichen Beweglichkeit
und Energie, die Beine nach rechts und nach links zu drehen und zu schleudern,
sodass Emma alle Vorbehalte und Unsicherheiten vergaß und es ihm nachmachte.
„Sie sind ein Naturtalent, Frau Pastor!“, brachte er zwischendurch atemlos
hervor. Er lachte ausgelassen. Dass er unglaublich stark schwitzte, schien ihm
nichts auszumachen. „Sie aber auch!“, sagte sie lachend. „Oh, meine Frau und
ich haben früher viel getanzt. Doch mit ihrem Knie kann sie nicht mehr.“ Die
Paare um sie herum tanzten ausgelassen. Auch die Musiker auf der Bühne hatten
ihren Spaß, bewegten sich übermütig im Takt der Musik und feuerten sich
gegenseitig an. Beim Schlussakkord schnappte Ottmar Friedrich nach Luft und
wischte sich mit dem Taschentuch über Glatze und Nacken. „Ich bewundere Ihren
Mut, Frau Pastor, sich auf diese Missionsgeschichte einzulassen“, sagte er
kurzatmig. „Ach, ich weiß gar nicht wirklich, was auf mich zukommt. Ich weiß
nicht, ob man dann von Mut sprechen kann.“ „Na gut, dann nennen wir es Mut in
Ihr Vertrauen. Hat Ihnen Ihr Mann auch gesagt, dass es zwischen Weißen und
Ureinwohnern blutige Gemetzel gibt?“ Er runzelte die glänzende rosafarbene
Stirn. Sie wollte Paul nicht bloßstellen und sagte „Ja“.„Sie schlachten sich
gegenseitig ab; immerhin sind die Weißen im Vorteil. Ich möchte Ihnen ein
Angebot machen. Nicht dass Sie denken, ich will Sie verunsichern.“ „Nein, das
würde ich nie denken.“ „Also, wenn es Schwierigkeiten gibt, ob mit Ihrem Mann
– verzeihen Sie, aber man weiß ja nie, gerade wenn man sich erst so kurze
Zeit kennt –, also, wenn Sie Schwierigkeiten haben ... Ein Bekannter ist Arzt in Adelaide. Er hat
sicher Möglichkeiten, Sie als Krankenschwester unterzubringen - in einer
halbwegs zivilisierten Stadt. Ich gebe Ihnen seine Adresse.“ „Das ist sehr
freundlich von Ihnen, aber ich glaube nicht, dass ...“ „Man kann nie wissen,
Frau Pastor“, unterbrach er sie bestimmt. „Es ist ja nur eine Adresse, und nur
für den Ernstfall! Oh, ein zweiter Charleston! Und jetzt wird nicht mehr
geredet, nur noch getanzt!“ Während des Tanzes versuchte Emma ihre aufkeimenden
Bedenken zu vergessen. Sie hatte sich doch geschworen, keine Zweifel mehr
aufkommen zu lassen.
6
Paul und Hilde Friedrich
waren in ein ernstes Gespräch vertieft. Es verstummte, als Emma und ihr
Begleiter sich dem Tisch näherten. Emma hatte schon befürchtet, Paul würde sie
die ganze Zeit auf der Tanzfläche beobachten. „Na, habt ihr euch gut
unterhalten?“, fragte Ottmar Friedrich schwer atmend, tupfte sich mit dem
Einstecktuch über die Stirn und ließ sich dann ächzend auf den Stuhl fallen.
Hilde Friedrich lächelte, und Paul antwortete floskelhaft: „Aber sicher.“ Er
musterte Emma, doch bevor sie sich ihre gute Stimmung verderben lassen würde
– sie kannte Paul einfach noch nicht gut genug - nahm sie seine Hand.
„Jetzt bist du an der Reihe!“, sagte sie gut gelaunt. Er sträubte sich. „Ach,
komm schon, Paul!“ Sie zog ihn von seinem Stuhl. Der Wein hatte sie mutig gemacht
– und auch ein wenig unbeschwerter, wie sie feststellte. „Na, gehen Sie
schon, Herr Pastor! Ihre Frau ist eine großartige Tänzerin!“, drängte Ottmar
Friedrich. „Wir haben noch nie zusammen getanzt. Jetzt will ich endlich mal mit
dir tanzen“, sagte Emma. Einen Augenblick lang fürchtete sie, Paul würde wütend
aufstehen und den Saal verlassen. Sie hatte die Anspannung auf seinem Gesicht
bemerkt. Doch tatsächlich gab er seinen Widerstand auf und ließ sich von ihr
zwischen den Paaren hindurch auf die Tanzfläche ziehen. In diesem Moment wurde
ihr klar, dass sie etwas herausfinden wollte. Nicht, ob er tanzen konnte,
sondern was sie dabei empfinden würde, wenn sie sich eng an ihn geschmiegt
zwischen den anderen Paaren bewegte. Und noch etwas wollte sie wissen: was er dabei empfand.
Die Kapelle spielte nun
keinen Charleston mehr, sondern ein langsames Stück. Zu Emmas Überraschung
stellte sich Paul gar nicht ungeschickt an. Seine Hand lag leicht auf ihrem
Rücken, nur Zentimeter unter der Spitze ihres Rückenausschnitts. „Von wem hast
du das gelernt?“, fragte sie. Er machte eine kühne Drehung. Vergessen waren
ihre Befürchtungen, die sie zu Beginn des Abends geplagt hatten. „Du hast mir
noch nichts von den anderen Frauen in deinem
Weitere Kostenlose Bücher