Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
eine
gesunde Gesichtsfarbe. Sie hatte wohl gerade einen Witz zum Besten gegeben,
denn ihre Tischnachbarn lachten und klatschten in die Hände, als sie aufhörte
zu sprechen. Emma dachte an die Dame in Schwarz, konnte sie aber nicht
entdecken. Am Nachmittag hatte sie sie beim Teetrinken mit einem jungen,
blassen Mann bemerkt. Emma trank noch einen Schluck Wein. „Ist das nicht eine
feine Sache, so durch die Welt zu reisen?“, sagte Ottmar Friedrich und ließ seinen
Blick durch den Saal schweifen, als ob er ihm gehörte. „Aber stellen Sie sich
mal vor, Sie wären einer von diesen armen Teufeln gewesen, die sie aus den
englischen Gefängnissen nach Australien verschifft haben. Wissen Sie, dass die
ersten Schiffe fast ein Jahr lang unterwegs waren? Damals gab es den Suezkanal
ja noch nicht. Man fuhr über Teneriffa, Rio und dann unten am Südzipfel Afrikas
vorbei. Und die Armen waren unter Deck angekettet! Ja, die ganze Zeit. Man hat
sie einfach verhungern lassen, weil man das Geld für die Verpflegung sparen
wollte. Diese verdammten Transportunternehmen! Und dann die Hygiene! Gab’s
natürlich gar nicht. Die Toten hat man einfach zwischen den Lebenden liegen
lassen.“ Er holte Luft und sah Paul an. „Herr Pastor, nun frag’ ich Sie: Diese
verantwortlichen Leute, Engländer übrigens, haben sich doch auch als Christen
bezeichnet, oder?“ „Herr Friedrich, nicht jeder, der sich Christ nennt, handelt
nach dem Wort Gottes“, antwortete Paul ruhig. Ottmar Friedrich lachte polternd,
das Gesicht seiner Frau Hilde zuckte nervös. „Ja, das hat man gesehen in
unserem schönen Krieg! Wissen Sie, manchmal frage ich mich, ob die Welt ohne
Gott nicht besser dran wäre.“ „Gott“, sagte Paul, „gibt uns die Freiheit, uns
für oder gegen ihn zu entscheiden.“ Emma nippte an ihrem Glas, voller Stolz auf
ihren Mann, der auf alle Fragen eine Antwort zu haben schien. Ottmar Friedrich
machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, diese verdammte Freiheit! Die führt
doch zu nichts! Wir brauchen eine zuverlässige Stimme! Keine Quatschbude! Hören
Sie doch diesen Krach! Hören Sie doch nur diese Negermusik! Wie soll man da
Gottes Wort noch verstehen?“ Ottmar Friedrich lachte über seinen eigenen Humor.
Die Kapelle auf der
Bühne hatte angefangen, Tanzmusik zu spielen. Schon wurden Stühle verrückt, und
Paare schoben sich auf die Tanzfläche. „Ottmar“, redete Hilde gegen die Musik
an, „lass doch den armen Herrn Pastor und seine Frau. Sie wollen auch mal ein
wenig Ruhe haben.“ Sie warf Paul und Emma einen scheuen Blick zu. „Ruhe!“,
polterte ihr Mann sogleich. „Die haben sie doch den ganzen Tag auf diesem
verfluchten Schiff! Jeder Tag ein Freudentag! Ich sag’ Ihnen, man sollte hier
Beschäftigungsprogramme veranstalten. Die Menschen kommen nur auf dumme
Gedanken, wenn sie nichts tun. Der Mensch braucht eine Aufgabe, nicht wahr,
Herr Pastor? Müßiggang ist aller Laster Anfang!“ Ottmar Friedrich genoss es
ganz offensichtlich, Zuhörer zu haben. Bester Laune tat er seine Meinung kund
und hätte sich sicher nur noch einen Applaus gewünscht. Die Kapelle hatte das
erste Stück beendet und begann soeben ein neues. Das Schlagzeug fing an, dann
setzte die Trompete ein. Emma horchte auf. „Ist das ein Charleston?“ Mit Vera
war sie zweimal in einem Tanzpalast gewesen – das Geld dafür hatte sie
sich lang zusammengespart - und hatte diesen modernen Tanz gelernt. Ottmar
Friedrich reagierte prompt. „Ja, sicher! Können Sie den?“ „Oh, ich ...“, begann
Emma. Sofort rückte Ottmar Friedrich kraftvoll seinen Stuhl nach hinten und
verbeugte sich vor seiner Frau. „Hilde, du erlaubst doch?“ Hilde Friedrich
nickte und lächelte, so, wie sie schon die meiste Zeit des Abends gelächelt
hatte. Ottmar Friedrich neigte sich zu Emma und Paul. „Gnädige Frau –
Herr Pastor, gestatten Sie, dass ich mit Ihrer Frau Gemahlin tanze?“ Paul sah
sie an. Einen Augenblick lang befürchtete Emma, es könne ihm nicht recht sein,
doch dann sagte er: „Wenn Emma möchte ...“ Sie errötete. Das war ihr alles
äußerst unangenehm, sie wollte nicht auffallen, und jetzt das ... „Kommen Sie,
sonst ist der Tanz vorbei!“ Und schon bot Ottmar Friedrich Emma seinen Arm und
führte sie zur Tanzfläche.
Zuerst fühlte sie sich unwohl. Sie
überragte ihren Tanzpartner um einen halben Kopf, doch das schien ihm nichts
auszumachen. Geschickt steuerte er sie zwischen den
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