Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
den Wagen eingeklemmt war.
Moses hatte schon den
Stab für den Anlasser in der Hand. „Schnell, schnell, Bob!“, rief er und
lachte, „sonst musst du hier bleiben, und ich komme nächstes Jahr dein Gerippe
abholen!“ Es gelang ihm immer wieder, Robert aus seinen düsteren Stimmungen zu
holen, die ihn oft befielen, wenn er vor sich hin grübelte und feststellen
musste, dass es keinen Sinn im Dasein gab ... Robert war ihm dankbar dafür.
„Ich komm’ schon!“, rief er und schwang sich auf den Beifahrersitz. Seit einem
Monat hatte er Moses das Steuer des Wagens fast ganz überlassen, denn dieser
liebte das Fahren leidenschaftlich, und inzwischen war er ein wirklich guter
und umsichtiger Fahrer geworden. Schon kurbelte Moses am Anlasser. Der Wagen
sprang sofort an, und mit zufriedener Miene stieg Moses auf den Fahrersitz,
legte den Anlasserstab hinter sich und fuhr an.
Seit Oodnadatta waren
sie den Masten der Overland Telegrafenlinie gefolgt, hatten jedoch immer wieder
Abstecher zu abgelegenen Farmen gemacht und dort die Menschen besucht, die
Robert von seinen früheren Fahrten her kannte. Viele Fotos und Filmaufnahmen
hatte er gemacht, und dabei war ihm aufgefallen, wie Einsamkeit, Dürre, der
Kampf ums tägliche Überleben, Schicksalsschläge – kurz: das Leben -, wie
das alles seinen Tribut forderte. Die einen magerten ab und wurden verbittert,
die anderen zynisch und argwöhnisch, wieder andere demütig. Nur ganz wenige
wurden humorvoll und im Alter plötzlich fröhlich.
Auch er war heute nicht
mehr derselbe, der sich voller Tatendrang und Stolz freiwillig für die Armee
gemeldet hatte. Nie wieder würde er sich für die Interessen anderer einspannen
lassen. Nie wieder würde er für jemand anderen als für sich selbst kämpfen ...
Das hatte er sich geschworen, vor sieben Jahren, am Strand von Gallipoli, den
er als einer von ganz wenigen lebendig verlassen hatte. Sie waren nur
Schachfiguren in einem Spiel gewesen, mehr nicht. Nein, seine Freiheit
bedeutete ihm alles, auch wenn sie es mit sich brachte, dass er sich manchmal
einsam fühlte. Er dachte wieder an die Missionarin aus dem Zug. Ihm war, als
hätte er sie damals fotografiert.
Der Wagen kämpfte sich
über die steinige und von Dorngrasbüschen bewachsene Erde. Über ihnen wölbte
sich der Himmel in strahlendem Azur, und vor ihnen erhoben sich die purpurnen
MacDonnell Ranges. Seit Tagen schon waren sie am Horizont zu sehen gewesen,
zuerst nur als rötlich schimmernder Rand am Ende der Welt, dann ragten sie
immer höher in den Himmel hinauf. Robert hatte sich schon öfter gefragt, warum
er seit Jahren durch das Land zog und fotografierte, warum es ihn stets wieder
hinaustrieb, warum er süchtig war nach diesen Bildern, nach diesem Anblick,
aber er hatte keine Antwort gefunden.
„In
Stuart trinken wir Bier, ja?“, fragte Moses mit lauter Stimme, um das
Motorengeräusch zu übertönen. „Klar.“ Robert nickte. Moses liebte Bier.
Unterwegs hatten sie keines dabei, aber wenn sie in ein Pub kamen, gab es für
Moses kein Halten mehr, dann musste Robert Bier für ihn besorgen. Als Aborigine
war es Moses verboten, Alkohol zu kaufen, genauso wenig wie er Land erwerben
durfte – wenn er denn überhaupt so viel Geld gehabt hätte. Robert
schluckte das aufkommende Schuldgefühl hinunter. Er gehörte zur herrschenden
Rasse, die diesen Kontinent einfach an sich gerissen hatte, und wenn er konsequent wäre, dann hätte er
dieses Land verlassen, aber wohin hätte er gehen sollen? Und wollte er dieses
wunderbare Land denen überlassen, die es ausbeuteten? Den Viehzüchtern, deren
Herden mit abertausenden Rindern über das Land herfielen und die empfindliche
Vegetation zertrampelten, mit den Millionen von Schafen, die jede Graswurzeln
ausrissen, die Wasserlöcher verschmutzten? Den Farmern, die das Land rodeten,
uralte Bäume fällten, bis ihr Haus in einer Wüste stand, über die die
Sandstürme hinwegfegten? Er hatte alte Fotos gesehen. Vor vierzig Jahren war
das Land noch viel, viel dichter bewaldet gewesen. Wie würde es nach weiteren
vierzig Jahren aussehen? Oder nach hundert?
Plötzlich trat Moses auf die Bremse, und Robert klammerte sich
blitzschnell am Türrahmen fest. „He! Was ist?“ Moses’ Blick waren auf die Erde
vor ihnen geheftet. Robert konnte nichts Besonderes erkennen. Reifenspuren und
Hufabdrücke, sonst nichts. „Da!“ Bei laufendem Motor sprang Moses hinaus,
bückte sich und
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