Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Ich hab’ dich
gesucht!“ Jalyuris Kopf flog nach links. Da stand er, der Medizinmann, fünf
Schritte vor ihm. Jalyuri wich zurück. Er kniff die Augen zu und öffnete sie
wieder, doch der Medizinmann stand noch immer da. Um seinen Gürtel und sein
Stirnband hatte er Federn gesteckt. Er musterte Jalyuri. „Die Sache ist nicht
ausgestanden, Jalyuri“, sagte er mit seiner krächzenden Stimme. „Welche
Sache?“, fragte Jalyuri vorsichtig. „Du weißt schon.“ Jalyuri antwortete nicht.
Ganz klar war ihm nicht, welche Sache der Medizinmann meinte, die Sache mit
seinem Bruder oder die Sache mit den neuen Missionaren, aber er wagte nicht zu
fragen. Er würde es schon noch erfahren, dachte er.
Der Medizinmann sah
hinauf in den Himmel, wo der schwarze Vogel noch immer kreiste. „Ein starker
Feind greift uns an, Jalyuri. Die Zeichen sind klar. Erst dein Sohn und dann
...“ „Aber Jungala ist doch gesund!“, fiel Jalyuri ihm erschrocken ins Wort.
„Ja. Aber du hast doch nicht vergessen, wie es ihm ging?“ „Nein, natürlich
nicht!“, beeilte er sich zu sagen. Er war kein ängstlicher Mann, aber wenn es
um seinen Sohn ging, dann überfiel ihn die Angst viel, viel schneller und
heftiger ... „Gut.“ Der Medizinmann nickte zufrieden. „Aber du bekommst einen
zweiten Sohn.“ Oh, ja, der Medizinmann wusste alles, stellte Jalyuri mit einem
gewissen Groll fest. „Wird es ein Sohn sein? Oder eine Tochter?“, fragte er
aufgeregt. „Es wird ein Sohn sein. Er muss beschützt werden, Jalyuri. Ihm darf
nichts geschehen. Er darf nicht sein, dass er besungen wird, weil wir einen
Fehler machen.“ Jetzt sah er Jalyuri streng an. „Weil wir die Gesetze nicht
achten.“ Jalyuri nickte. Er verstand. Nichts durfte jetzt falsch gemacht
werden. „Und was soll ich tun?“, fragte er, und er ahnte, wie schwer die
Aufgabe sein würde.
Der Medizinmann sah
wieder hinauf in den Himmel. „Wir müssen deinen Bruder finden. Du musst dich
vor den Missionaren in Acht nehmen, und du musst dafür sorgen, dass sich auch
die anderen vor ihnen in Acht nehmen.“ „Was meinst du?“ „Sie dürfen uns nicht
dazu bringen, unsere Gesetze zu brechen.“ Der Medizinmann blickte ihm scharf in
die Augen. „Es geht um deine Söhne, Jalyuri, und um deinen Stamm.“ Dann drehte
er sich um und ging davon. Jalyuri sah in den Himmel hinauf. Der Vogel war
verschwunden.
IV
Die Missionsstation
1
Robert Gordon packte die
Fotokamera in den Blechkoffer und stand von dem Baumstamm auf, auf dem er
gesessen hatte. „Moses!“, rief er dem Aborigine in beigefarbener Hose und
hellem Hemd zu, der am Auto hantierte. Dass dies eine von Moses’
Lieblingsbeschäftigungen war, hatte Robert gleich festgestellt, als er ihn vor
anderthalb Jahren als seinen Wegführer und Assistenten angestellt hatte. Moses
drehte sich um. Er hatte sein pechschwarzes Haar genauso schneiden lassen wie
Robert. Kurz an den Seiten und im Nacken, während das längere Deckhaar nach
hinten gekämmt wurde. Nur über seine Locken klagte Moses, und er war oft damit
beschäftigt, sie mit Öl glatt zu frisieren. „Wie sieht es aus? Können wir
weiter?“ Moses nickte. „Sofort!“ Er strahlte. Robert hatte bemerkt, dass er in
den letzten Tagen immer lebendiger und aufgeregter geworden war. Er hatte auf
Hügel gedeutet und erklärt: „Das da ist der Känguruberg!“ oder „Hier, der Berg
heißt Schlafende alte Frau“. Und tatsächlich hatte Robert in den beiden
aufragenden, oben abgerundeten Hügeln und in der sanften Rundung dahinter den
riesenhaften liegenden Körper einer Frau erkennen können. „Ihr verdammten
Blackfellows“, hatte Robert lachend gesagt, „ ihr habt `ne verdammt schmutzige
Phantasie!“ Und Moses hatte noch mehr gelacht. Er lachte gern.
Dieses Land hier um
Stuart, um den Todd River und den Finke River war Moses’ Land, seine Heimat.
Hier war er aufgewachsen. Robert konnte nur ahnen, wie Moses sich fühlen
musste. Für einen Weißen hatte die Heimat ja schon einen ganz besonderen
emotionalen Wert. Selbst den rauesten Männern trat manchmal eine sentimentale
Träne in die Augen, wenn sie von ihrer Heimat sprachen; das hatte er in diesem
verdammten Krieg erfahren. Hastig und entschieden verbannte er die Erinnerung
daran. Er ging zum Auto und verstaute den Blechkoffer in einer stabilen Kiste,
die hinten auf der mit einer Plane überdachten Ladefläche zwischen anderen
Kisten mit Proviant und Ersatzteilen für
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