Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Grund getauft haben, hatte sie gedacht und Petrus von diesem Augenblick an
anders gesehen. Anders ... als jemand Besonderen.
Er trug heute ein Hemd
über der Hose, das er bis zum Hals zugeknöpft hatte. Sein orangefarbenes
Haarband hatte er weit hinaufgeschoben, sodass seine hohe Stirn auffiel.
Während er weder Emma noch Amboora ansah, nickten seine beiden Frauen ihnen zu.
Sie arbeiteten sehr gewissenhaft im Garten, und Emma hatte schon einmal daran
gedacht, der hochschwangeren Mani eine leichtere Arbeit zu geben. Doch Mani
schien die Arbeit nichts auszumachen, sie schwatzte fröhlich dabei und lachte
... und hatte einen gesegneten Appetit.
Nur wenige Meter hinter
Petrus und seiner engsten Familie folgten die anderen, schweigend und in
feierlicher Langsamkeit. Auch One Leg auf seinen Krücken war dabei. Bis auf
zwei Männer und eine Frau trugen alle Kleider, und diese drei waren schnell
versorgt. Nur der Älteste fehlte, fiel Emma auf, und Wirinun, der Medizinmann.
Als die Letzten an Emma und Amboora vorbeigegangen waren, gingen sie selbst
hinein, und Emma schloss die Tür. Welch einen anderen Anblick bot die Kirche
nun: Das Holzkreuz hing wieder an der Wand über dem Altar, und von der
blutroten Schrift war nichts mehr zu sehen. Eric hatte gute Arbeit geleistet.
Die Kirche war nicht länger ein leerer Raum, nein, jetzt war sie belebt mit
Menschen, die auf Bänken saßen und in stiller Spannung nach vorn blickten, wo
Paul in schwarzem Talar sie auf Aranda begrüßte. Nach der Begrüßung schlug Paul
die Bibel auf und begann, auf Aranda zu predigen. Sie selbst verstand noch
nicht genug von der Sprache, doch hin und wieder schnappte sie einige Begriffe
auf. Plötzlich nahm sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. In der Tür
stand der Medizinmann, nur mit einem Grasgürtel bekleidet. Wie war er
hereingekommen? Sie hätte es doch hören müssen, wenn er die Tür aufgemacht
hätte. Er stand einfach nur da, unbeweglich, mit herabhängendem Armen, den
Blick auf Paul gerichtet. Er setzte sich nicht zu den anderen auf eine der
Bänke, nein, er blieb stehen, da, in der Tür.
Paul musste ihn bemerkt
haben, aber er ließ sich nichts anmerken. Er sprach weiter mit seiner klaren,
deutlichen Stimme, und auch wenn Emma nicht verstand, was er da auf Aranda
sagte, so zweifelte sie doch nicht daran, dass es etwas Beeindruckendes sein
musste, denn die Menschen waren so still, wie sie sie noch nie erlebt hatte.
Emma bemühte sich, den Medizinmann nicht weiter zu beachten, doch sie hatte das
Gefühl, dass auch die anderen ihn bemerkt hatten. Hin und wieder warf jemand
einen verstohlenen Blick zur Tür. Paul schloss mit dem Vaterunser auf Aranda,
und Emma beobachtete, dass Petrus die Lippen bewegte und offenbar den Text
mitsprach. Paul wünschte ihnen Frieden und erinnerte sie daran, dass es Arbeit
gegen Essen gäbe und dass er sich freuen würde, wenn sie alle am nächsten Sonntag
wieder in die Kirche kämen.
Emma stand auf, um die
Tür zu öffnen, und bemerkte überrascht, dass die Tür offen stand und der
Medizinmann verschwunden war. Er musste lautlos davongeschlichen sein. Als sie
vor die Kirche ins Freie trat, konnte sie ihn nirgends sehen. In stiller
Ergriffenheit verließen die Menschen die Kirche, und Emma nickte ihnen
freundlich zu, wenn sie an ihr vorbeigingen. Der erste Gottesdienst war ein
Erfolg gewesen! Sie war sicher, die Menschen würden am nächsten Sonntag wieder
kommen. Paul trat ins Freie und blinzelte in die Sonne. Auf seinem Gesicht lag
ein nachdenklicher Ausdruck. „Du hast es geschafft, dass sie fast alle gekommen
sind.“ Sie sah zu ihm auf. Er lächelte kurz ... und bitter. „Ja, ich habe ihnen
vorher ein Stück Fleisch versprochen.“ „Na und, das ist doch ein Anfang!“ Warum
sollte er sie nicht mit einer kleinen Belohnung locken? „Trotzdem: Du hast die
Menschen berührt! Wie ergriffen sie alle waren!“ Würde er sie jetzt endlich in
die Arme nehmen und für ein paar Augenblicke das Glück, das sie empfand, mit
ihr teilen? Jetzt, nachdem er seine Aufgabe so wunderbar gemeistert hatte? Er
nickte langsam, doch sein Blick ging nicht zu ihr sondern zu den Hütten.
Dass er sich so
nachdenklich und abwesend verhielt, ärgerte sie. Und am meisten ärgerte sie
sich über sich selbst und über ihre wohl nie versiegende Hoffnung, dass Paul
sich ändern würde. Warum nur konnte sie nicht endlich aufhören, seine Liebe
einzufordern? Er stemmte die
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