Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
niederkämpfen musste. Drüben bei den Hütten waren die Feuer
weit heruntergebrannt, der würzige Geruch von verbranntem Holz und Fleisch lag
in der Luft. Leise drang monotoner Gesang herüber. Zikaden zirpten, und die
Blätter der Bäume knisterten leise. Aus Pauls Arbeitszimmer drang noch Licht.
Wie schon so oft holte John die Nacht, in der Emma neben ihm unter dem Wagen
gelegen hatte, in seine Erinnerung zurück. Wie sie ihren Kopf an seine Brust
gepresst und wie er ihre Hand gehalten hatte ... Dieser Traum hatte seinen
alten Albtraum verdrängt. Er sah hinauf in den Himmel. Als heller Lichtstrom
floss dort oben die Milchstraße. Der Mond, eine schmale Sichel und so weit weg,
strahlte heller und klarer als eben noch die Kerosinlampe auf seinem
Schreibtisch. „Herr“, murmelte er, „ich bin deiner nicht würdig ...“
Er warf
einen letzten Blick hinüber zum Nachbarhaus, dann ging er wieder hinein und
schloss die Tür. „Es erwartet mich viel Arbeit“, sagte er zu sich selbst. „Für
die Menschen müssen Grundlagen geschaffen werden, damit sie überleben können,
sie müssen irgendwann in der Lage sein können, sich selbst in der veränderten
Welt zurechtzufinden! Sie müssen Englisch lernen, müssen die Werte der
abendländischen Zivilisation übernehmen, natürlich auch die Religion, sie
müssen von ihrer Vielweiberei ablassen und endlich verstehen, dass man arbeiten
muss, damit man Essen und Kleidung verdient!“ Er merkte, dass er mit auf dem
Rücken verschränkten Armen im Arbeitszimmer auf und ab ging, und er blieb augenblicklich beschämt
stehen. Für wen hielt er eigentlich diese Ansprache?
7
Seit ihrer Ankunft war Emma
jeden Tag bei Sonnenaufgang aufgestanden. Amboora, die im Haus in einer kleinen
Kammer schlief, war schon früher auf den Beinen. Feuer musste gemacht, Brotteig
geknetet, Tee gekocht, Wäsche gewaschen und Wasser geholt werden. Die Ziegen
mussten gemolken, die Arbeiterinnen eingeteilt, Putzarbeiten erledigt und
Kinder und Kranke versorgt werden. Nur hin und wieder kam Emma die Bibel von
Hermann Weiß in den Sinn. Ihr ausgefüllten Tage lenkten sie ab, bis sie
plötzlich wieder daran erinnert wurde. Sie war gerade bei der jungen Mutter
Mamuru und ihrem Baby, als sie das schnelle Geklapper von Pferdehufen hörte.
Dann sah sie Paul drüben, bei Johns Männern, vom Pferd steigen. Er sagte etwas zu John und ging dann zur
Kirche. Sie wandte sich wieder Mutter und Kind zu. Mamuru, die noch vor wenigen
Tagen so schwach aus der Wüste gekommen war, hatte sich erholt und konnte ihr
Kind besser ernähren. Emma gab ihr Ziegenmilch, die sie seit zwei Tagen nicht
mehr verschmähte, und Brot. Auch die anderen Kinder im Lager, inzwischen war
ihre Zahl auf mehr als zehn angewachsen, bekamen etwas Milch. Viel gaben die
beiden Ziegen aber leider nicht her.
Die Kinder spielten mit
einem Metalldeckel, lachten und zeigten dabei ihre weißen Zähne. In ihnen liegt
die Hoffnung, dachte Emma dann jedes Mal. John wollte nächste Woche mit dem
Unterricht in der Schule beginnen, bis Isabel käme, wie er sagte. Sie blickte
gerade zu John hinüber, als dieser sie bemerkte und lange in ihre Richtung sah.
Jetzt fiel ihr auf, dass auch die anderen Männer aufgehört hatten zu arbeiten.
Sie nahm die leere Kanne und ging auf sie zu. „Ist etwas passiert?“, rief sie
schon von weitem. John wartete, bis sie bei ihm war. Seine Augenhöhlen schienen
in den letzten Tagen noch tiefer und dunkler geworden zu sein. „Paul hat
fünfzehn tote Rinder gefunden“, sagte er mit tonloser Stimme, „Es sind alles
unsere.“ „Aber das sind ja fast alle, die wir hatten!“ Er nickte, wischte sich
mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn und hinterließ eine staubige
Spur. „Sind sie ... verdurstet oder verhungert?“, fragte sie. „Es sieht eher
nach einer Krankheit oder Vergiftung aus.“
All die Tiere, die die lange,
beschwerliche Reise überstanden hatten, die sich den steilen Hang hinauf-und
auf der anderen Seite wieder hinuntergequält hatten, waren tot? Emma spürte,
wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Sie drehte sich zu den Hütten um. Dann
wurde ihr bewusst, dass sie und John nicht allein waren. Doch er hatte ihren
Blick verstanden und befahl den Männern, mit der Arbeit weiterzumachen.
Widerwillig gehorchten sie. John entfernte sich ein paar Schritte, Emma folgte
ihm. „Würde Wirinun so etwas tun?“, fragte sie. „Sie wissen, wenn die
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