Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Rinder
sterben, gibt es auch für sie kein Fleisch.“ John holte Luft. „Ja, aber ...
wenn Wirinun seine Leute gegen uns aufhetzen will, dann wäre dies eine gute
Möglichkeit.“ „Sie meinen, Sie könnten sich vorstellen, dass Wirinun die Rinder
vergiftet, um ...“ Sie wusste nicht weiter. „Um vor seinen Leuten zu behaupten,
auf unserer Ankunft liege ein Fluch, ja. Und wenn sie in die Kirche gehen,
wenden sie sich von den Ahnen ab, deshalb lassen sie nur die Rinder sterben.“
„Aber das ist doch ...“ Er nickte. „Ja, Manipulation. Das ist es, was die
Wissenshüter in allen Kulturen tun, wenn sie ihre Macht bedroht sehen, nicht
wahr?“ Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Zynisch, schoss es
Emma durch den Kopf, er ist zynisch. Diesen Wesenszug hatte sie noch nie an ihm
bemerkt - und sie mochte ihn auch nicht. „Es kann aber genauso gut auch eine
Krankheit sein, John! Wir brauchen einen Tierarzt!“ Jetzt lachte er auf. „Der
nächste ist vielleicht in Oodnadatta, wenn wir Glück haben!“ „Nicht in Stuart?“
Ernst geworden, schüttelte er den Kopf. Sie sah hinüber zu den Hütten. Sie
konnte die Frauen erkennen und die Kinder, die noch immer mit dem Deckel
spielten und lachten. Sie musste mit Paul sprechen, was er von der Sache hielt. „Er ist in der Kirche“, sagte John, als
hätte er ihre Gedanken erraten.
Paul kniete vor dem
Altar. Das hohle Geräusch ihrer Schritte hallte in dem leeren, kalkweißen Raum.
Sie kniete sich neben ihn. Still und tröstend hing das dunkle Holzkreuz auf der
weißen, unbefleckten Wand. „Was ist mit den Rindern?“, fragte sie ohne
Einleitung. Paul bewegte stumm die Lippen. Sie wartete. „Paul, hörst du mich
überhaupt?“ Endlich drehte er sich zu ihr. Seine Haut wirkte wächsern, seine
Züge waren verhärmt, seine blauen Augen wässrig. Er sah erschöpft und entmutigt
aus. Selbst sein sonst so leuchtendes rotes Haar war fahl und stumpf. Emma war
besorgt.
„Nun“, begann er,
„sprach Jahwe zu Moses: ‚Gehe zu dem Pharao und sage zu ihm: So spricht Jahwe,
der Gott der Hebräer: Gib mein Volk frei, damit es mir diene! Wenn du dich
weigerst, es zu entlassen, und es noch weiter festhältst, dann kommt die Hand
Jahwes über dein Vieh, das auf dem Felde ist. Über die Pferde, die Esel, die
Kamele, die Rinder und die Schafe kommt eine schlimme Seuche.’ Und Jahwe ließ
es am folgenden Tag eintreten. Es starb alles Vieh der Ägypter“. Paul sagte
tonlos: „Was will Gott von mir? Ist es eine Prüfung?“ Sie erschrak. Wie
verzweifelt er war! „Er prüft uns alle, Paul. Dich, mich, John, die Menschen in
ihren Hütten ... Aber warum bist du so mutlos? Du hast uns durch die Wüste
geführt, du hast die Menschen hier in die Kirche gebracht ...“ „Ja“, unterbrach
er sie, „weil ich Ihnen Fleisch versprochen habe!“ „Paul, es ist doch keine
Katastrophe. Es sind doch nur ein paar Rinder!“ „Emma, begreifst du denn nicht,
dass das alles Zeichen sind?“ Seine Stimme bebte. „Nenn es Zeichen, von mir
aus“, sagte sie. „Aber es ist genauso gut etwas, womit jeder Farmer hier schon
zu tun hatte! Das passiert eben! Es hat vielleicht gar nichts mit uns zu tun!
Gott sind unsere Rinder vielleicht völlig gleichgültig!“ „Du begreifst nicht, Emma“.
Sie musste Paul endlich
zur Rede stellen. Seine Krise, davon war sie jetzt überzeugt, hing mit diesem
Brief in seinem Koffer zusammen. Er fühlte sich schuldig und glaubte nun, Gott
bestrafe ihn. Immer und immer wieder ging ihr der Wortlaut des Briefs im Kopf
herum. Nein, sie konnte nicht mehr so tun, als habe sie ihn nicht gelesen. Sie
musste endlich reden.
„Paul“, fing sie an, wollte die Hand auf seine Schulter legen,
zuckte jedoch zurück, „du kannst mir vertrauen. Sag mir jetzt die Wahrheit! Die
Wahrheit, wie auch immer sie lautet, kann ich besser ertragen als das
Schweigen.“ Sie machte eine Pause, er erwiderte nichts, sah einfach weiter nach
vorn zum Altar und zum Kreuz, auf dessen Mitte jetzt ein Sonnenstrahl traf.
„Paul ...“ Sie holte tief Luft. „Hast du mit einer anderen Frau ein Kind? Ist
es das, warum du dich mir gegenüber so abweisend benimmst?“ Er betrachtete sie,
als sei sie eine Fremde. Sag mir die Wahrheit, Paul, flehte sie, damit kannst
du alles wieder gutmachen, dann haben wir eine neue Chance ... Seine Mundwinkel
zuckten. Ja, dachte sie, sag es, bitte ... „Ich weiß nicht“, sagte er
schließlich, „wie
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