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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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Arme in die Hüften und sagte nach einem längeren Zögern:
    „Wirinun, der Medizinmann, stand mir die ganze Zeit gegenüber.“ Seine Augen,
    die noch immer auf die Hütten gerichtet waren, verengten sich. „Er ist zu
    stolz, um sich zu den anderen zu setzen“, sagte sie und merkte, dass sie nur
    eine harmlose Erklärung suchte. „Er fürchtet um seinen Einfluss“, sagte John,
    der gerade aus dem Eingang gekommen war und sah stirnrunzelnd zu den Hütten.
    Als sie zurück zum Haus gingen, sah Emma vor der Tür etwas liegen. Ein Buch?
    Paul bückte sich. Es war das Neue Testament in einem schwarzen Einband. „Haben
    Sie Ihre Bibel verloren?“, fragte Paul John mit einem spöttischen Unterton.
    John schüttelte den Kopf, ohne auf seine Provokation einzugehen. Paul schlug
    den Deckel auf, wurde blass und ließ das Buch sinken. Emma konnte die
    handschriftliche Eintragung auf der ersten Seite lesen. Dort stand: Hermann Weiß .
    Sie sahen sich um. Doch
    weit und breit war niemand, bis auf Amboora. „Amboora,“, fragte Emma, „ist jemand
    hier gewesen?“ „Hier?“, fragte das Hausmädchen und starrte sie an. „Ja! Das
    hier hat jemand vor die Tür gelegt!“ Sie nahm Paul das Buch aus der Hand.
    Amboora rührte sich nicht. Ihre Miene war versteinert, und ihre schwarzen Augen
    hatten etwas Trotziges, das Emma noch nie an ihr bemerkt hatte. „Niemand da“,
    sagte Amboora schnell. „Niemand.“ Dann drehte sie sich um und lief ins Haus.
    „Sie halten alle zusammen“, sagte John. „Aber“, sagte Emma, „ich verstehe nicht
    ... Warum hat jemand das da
    hingelegt?“ Paul nahm das Buch wieder an sich und wischte den Staub von dem
    schwarzen Einband. Nachdenklich ging Emma hinter den beiden Männern ins Haus.
    An diesem Tag sprachen sie nicht mehr über den Vorfall. Paul hielt Wort. Alle,
    die in der Kirche waren, bekamen ein Stück Fleisch von dem am Vortag
    geschlachteten Rind. Bis spät in die Nacht loderten die Feuer und erklangen
    Gesänge.

    Noch lange nach dem
    Abendessen saß John Wittling im Nebenhaus an dem Schreibtisch, dessen
    abgebrochenes Bein er notdürftig wieder befestigt hatte, und strich ein Papier
    glatt. Seit er in Stuart die telegrafische Nachricht erhalten hatte, hatte er
    sie schon unzählige Male gelesen. Und mit jedem Mal erschienen ihm die Worte
    fremder und unwirklicher.
    Lieber John,
    ich bin ja so
    stolz auf Dich – kann leider noch nicht kommen - Deine Isabel

    Er ließ den Zettel sinken.
    Im Licht der Kerosinlampe auf dem kleinen Tisch sahen seine Hände wächsern aus.
    Seine Nägel waren eingerissen, und die Haut war zerschrammt. Es störte ihn
    nicht mehr. Sie ist stolz auf mich, aber sie kommt nicht, dachte er mit
    Bitterkeit. Ein Gefühl in ihm sagte, sie würde nie kommen. Sein Blick glitt
    über das spärliche, abgestoßene Mobiliar, die kahlen Wände. Was sollte sie auch
    hier? Sie war etwas anderes gewöhnt. Sicher hatte sie gewusst, als sie einen
    lutherischen Pastor heiratete, dass sie den Lebensstandard, in dem sie groß
    geworden war, nicht halten könnte. Aber sie war auf etwas anderes aus, nicht
    auf Geld und Luxus, das bewies diese Nachricht. Er hatte es zwar geahnt, doch
    immer wieder verdrängt. Vielleicht auch, weil er selbst auch ein wenig davon
    wollte: Anerkennung.
    Je höher er geschätzt
    wurde, desto mehr war auch sie im gesellschaftlichen Ansehen gestiegen. Sie
    hatte für Einladungen in der besseren Gesellschaft gesorgt, hatte um Spenden
    gebeten, eine Tombola organisiert, und wenn er jetzt ausgezeichnet würde
    – für was auch immer –, würde auch ihre Stellung aufgewertet. „Ich
    bin stolz auf dich“, las er erneut. Sie wusste nicht, weshalb er dies alles
    tat. Für sie waren seine Eltern und Geschwister alle an Diphterie gestorben, nur
    er hatte überlebt und war in einem Heim aufgewachsen. Warum hatte er ihr nie
    die Wahrheit gesagt?
    Er warf einen letzten Blick auf den
    Zettel, dann zerriss er ihn in kleine und immer kleinere Schnipsel, bis sie so
    winzig waren, dass er sie nicht mehr zerreißen konnte. Als ein Haufen
    gelblicher Fetzen lagen ihre Worte nun vor ihm, aber er hörte sie immer noch,
    und die Stimme klang kalt und hohl. Er schob den Stuhl zurück und öffnete die
    Tür. Die Dunkelheit fiel ihn an, und er blieb unwillkürlich stehen. Er dachte an
    den Medizinmann und an die Bibel von Hermann Weiß, und ein unangenehmes Gefühl
    breitete sich in ihm aus. Ein Gefühl, das in Wut umschlagen würde, und er
    wusste, dass er es

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