Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
getrockneten Aprikose und sah zu, wie Robert dem Mann Wasser
einflößte. Er wartete, bis der Mann den Becher geleert hatte, richtete sich
dann auf, trat aus dem Schatten des Varandadachs und blickte in die Ferne. Auf
dem Rücken seines Hemdes hatten sich dunkle Schweißflecken gebildet. Die
Gefühle von letzter Nacht regten sich wieder in ihr. Noch konzentrierter
widmete sie sich der Untersuchung der beiden Eingeborenen. Die Haut der Frau
wirkte fleckig, ihr Puls war langsam und schwach. Vergiss ihn!, befahl ihre
innere Stimme, bete! Doch immer wieder kehrte ihr Blick zu seinem langen Rücken
zurück, seiner schlaksigen Gestalt, die von ihr abgewandt dastand.
Sie sprach noch einige
beruhigende Worte zu den beiden Kranken und trat dann neben Robert in die von
Minute zu Minute heißer brennende Sonne und sah wie er hin zu den glühenden
Bergen. Die Erde drohte vor Trockenheit zu bersten.
„Ich weiß nicht, was
hier geschehen ist“, sagte er auf einmal. „Ich weiß nur: Hier wurden Gesetze
gebrochen.“ Er kniff die Augen zusammen und sah in die gleißende Weite.
„Jahrtausendealte Gesetze.“ Die Erinnerung an ihre Ankunft drängte sich ihr
wieder auf: ihr Gefühl, in eine fremde Welt einzudringen. „Das Kreuz war zerbrochen“,
sagte sie jetzt, „und jemand hat das Wort Satan an die Wand geschrieben.“ Er wandte sich zu ihr, auf seiner Stirn hatten sich
zwei tiefe Falten gebildet. „Satan?“ „Ja. Das Wort war mit roter Farbe an
die Kirchenwand gepinselt.“ Sie sah
Pauls Entsetzen vor sich. „Satan.“ Er schüttelte langsam den Kopf. „Emma,
glauben Sie im Ernst, dass einer der Eingeborenen hier das Wort Satan schreiben
kann?“
Weiße Hunde schlichen
mit hängender Zunge um die Hütten. Frauenstimmen keiften in fremden, knackenden
Lauten. Sie sah zu ihm auf. Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt,
die Hemdsärmel aufgerollt. Warum hatte sie sich selbst noch nie diese Frage
gestellt? „Und wenn es doch einer schreiben konnte?“ „Warum sollten sie es
schreiben, Emma?“, fragte er in einem herausfordernden Ton, der sie plötzlich
ärgerte. „Sie sagten gestern Abend doch selbst, Pastor Weiß war streng und
unnachgiebig. Die Eingeborenen haben ihn verflucht!“ „Gut. Doch wenn sie ihn
verflucht haben, dann sicher nicht, indem sie dieses Wort an die Wand gepinselt
haben!“ Wollte er sich rächen für die letzte Nacht? Spielte er sich zum Anwalt
der Eingeborenen auf? Wollte er sie, Emma, gegen Paul und die Kirche
aufbringen? „Verstehen Sie doch“, fuhr er eindringlich fort, „Satan bedeutet
ihnen nichts! Sie haben ihre eigene Magie!“ Sie wollte ihm glauben, doch
zugleich durfte sie es nicht „Es könnte aber doch ein Getaufter gewesen sein“,
wandte sie ein. Er zuckte die Schultern. „Aber ...“ Sie wagte die
Ungeheuerlichkeit nicht zu Ende zu denken. „Sie meinen ... ein Weißer hat das
Wort geschrieben?“ Er nickte. „Und zwar einer, der an Gott und an den Teufel
glaubt.“
Ihr Blick glitt über die
Hütten, über das weite Land, hin zu den schroffen Felsen. Keine Wolke stand am
azurblauen Himmel, kein Wind wehte. Ein uraltes Land mit uralten Gesetzen,
Gesetzen, die ihr fremd waren ... Emma drehte sich um zu den beiden Kranken
unter dem Dach. Die Frau kaute noch immer auf dem Stückchen Aprikose, und der
Mann hielt den Becher mit beiden Händen umklammert. „Die Menschen hier brauchen
mich.“ Er suchte etwas in ihrem Gesicht. Sie sah weg. „Emma, glauben Sie das
wirklich?“ Sie antwortete nicht. Hatte er Recht? Hatten die Menschen denn nicht
auch während der Zeit, als die Missionsstation vakant war, überlebt? „Emma, ich
sehe, dass Sie unglücklich sind ...“ Er brach ab. „Wer sagt, dass wir glücklich
sein müssen, Robert?“ Langsam schüttelte er den Kopf. „Das habe ich mich auch
oft gefragt. Aber ... letzte Nacht, habe ich die Antwort gefunden: Erst wenn
wir glücklich sind, leben wir wirklich.“
Die Gefühle der letzten
Nacht ließen sich nicht mehr niederkämpfen, sie würde sich gleich nicht mehr
wehren können ... Sie musste dem ein Ende machen ... Es war schon viel zu weit
gekommen ... „Es ist besser“, sagte sie mit fester Stimme, „wenn wir uns nicht
mehr sehen, Mister Gordon.“ Einen Moment noch hielten seine Augen sie fest,
dann war es vorbei. Er zog sich von ihr zurück. „Haben Sie eine gute Fahrt. Und
denken Sie an die Zitrusfrüchte.“ Sie musste sich abwenden. Er sollte ihre
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