Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Pastor Weiß, weil er in
der Kirche immer besonders laut und inbrünstig vorgesungen hatte. „Was ...“,
sagte One Leg, der plötzlich wieder hellwach war, „... was ist dann aber mit
Jalyuris Bruder?“ Nun sahen alle zu Jalyuri, der den Kopf senkte und in die
Flammen starrte. Dieser One Leg, warum hat er nicht den Mund gehalten und
weitergeschlafen? „Es ist der Geist des Singenden Pastors“, wiederholte
Wirinun, der Medizinmann, scharf und deutlich und unterband damit jeden
weiteren Einwand. „Dein Bruder ...“, dabei sah er zu Jalyuri hinüber, „...
trägt keine Schuld an den sterbenden Rindern.“ „Dann können wir wegen der
Rinder nichts tun?“, wagte Nooma-Nooma vorsichtig zu fragen. Doch Wirinun
achtete nicht auf ihn. „Wirinun“, sagte der Älteste, „du wirst die Geister
darüber befragen. Morgen sprechen wir weiter.“ Damit war die Versammlung
beendet. Man warf den Rest Holz, den die Frauen tagsüber gesammelt hatten, ins
Feuer, und dann streckten sich alle auf der nackten Erde aus und schliefen bald
ein.
Nur Jalyuri fand keinen
Schlaf. Mit wachen Augen starrte er in den Mond und dachte an die Geschichte
von Bima, die ihm einst ein Mann aus dem Norden erzählt hatte. Als Purukupali
hörte, dass der Tod seines Sohnes im Ehebruch seiner Frau begründet war, raste
er vor Zorn. Zuerst schlug er seine Frau und jagte sie in den Busch, dann griff
er ihren Liebhaber Japara an. Stundenlang kämpften die beiden Männer, bis sie
erschöpft umfielen. Als dann Purukupali irgendwann aufstand, holte er seinen
toten Sohn, trug ihn mit sich ins Meer und ertränkte sich. In diesem Augenblick
erhob sich Japara, der Liebhaber, in den Himmel und wurde dort zum Mond. Seine
Wunden sind noch immer zu sehen. Purukupalis Frau Bima verwandelte sich in
einen langschnabligen Vogel, der nachts in den Wäldern suchend herumläuft und
vor Trauer und Gram über den verlorenen Sohn und das Elend jammert, das sie
über die Welt gebracht hat.
Jalyuri dachte an seinen
Bruder, der nie wieder kommen durfte. Dann stand er auf, warf einen Blick auf
Isi und auf Jungala, der neben den anderen Jungen tief und fest schlief, und
ging zu Mani, die still auf der Seite lag und atmete. Er legte sich zu ihr,
schob den Arm unter ihren Nacken und den anderen über ihren Bauch und hielt sie
fest.
13
Die Ankunft eines neuen
Gastes lenkte Emma von ihren quälenden Gedanken und Gefühlen ab. Ian kam
endlich mit der Schafherde an. Unterwegs hatte er an die dreißig Lämmer töten
müssen, die während des langen Marschs geboren wurden und die Herde aufgehalten
hätten. Außerdem hatte er ungefähr ein Drittel der Herde wegen der Trockenheit
und der spärlichen Nahrung verloren. Etwa einhundertdreißig Schafe waren übrig
geblieben und weideten nun auf dem ohnehin schon kargen Boden rund um die
Missionsstation. „Sie sind robust und werden sich vermehren“, hatte Ian gesagt
und dabei zuversichtlich gelacht, als er Paul mit einem Handschlag die Herde
übergab. Sie werden Bush Tucker fressen, hatte Emma kurz gedacht, und die
Frauen werden gar nichts mehr zu essen finden. Aber sie behielt ihre Bedenken
für sich. Sie hätte sowieso nichts ändern können.
Emma hatte ihr
Arbeitspensum noch erhöht. Während Paul und John mit Ian zu den Schafen gingen,
machte sie sich an die Gartenarbeit. Sie hatte sich vorgenommen, den Garten zu
vergrößern. Es war wichtig, endlich Gemüse und Obst zu haben. Leider würde es
etwas dauern, bis die ersten Tomaten geerntet werden konnten. Die Kartoffeln
würden noch länger brauchen. Emma war überrascht, mit welch großer Sorgfalt die
Frauen die Pflanzen gossen. Das machte Emma zuversichtlich: Die Pflanzen würden
wachsen, und die Menschen würden lernen, sich auf diese Weise ihre Nahrung zu
sichern. Vier Frauen – Mani war nun nicht mehr dabei, sie müsste jeden
Tag ihr Kind bekommen - lockerten die Erde, rupften, wie Emma es ihnen gezeigt
hatte, das Unkraut und wässerten die zarten Pflänzchen.
Emma bückte sich und
wollte gerade das Gestrüpp ausreißen, das über einem kleinen Erdhügel wuchs,
als sie die Kante eines Bretts aus der Erde herausragen sah. Sie grub tiefer
... und staunte. Nicht ein Brett hielt sie in der Hand, sondern einen mit
Leinwand bespannten Rahmen. Ein Bild! Die Farben und Umrisse waren mit Erde
verschmiert, doch wenn sie genau hinsah, konnte sie eine Bergkette erkennen.
Und das da, in der Mitte, war das nicht ihre Kirche?
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