Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
vorbei,
redete sie sich ein, gleich ist er fort, und alles ist wieder so wie vorher.
Sie ging schneller. Nein, sie wollte ihm nicht nachwinken müssen. Amboora zog
sie weiter an den Hütten vorbei, vor denen Frauen und Männer hockten und Tee
tranken oder Damper zubereiteten. Hier schien sich nichts verändert zu haben.
„Reis!“, rief eine Frau Emma zu, „Reis!“ Das tat sie oft, wenn
sie Emma sah. Amboora eilte weiter, noch immer hielt sie Emmas Handgelenk
umfasst. Abseits der Hütten blieb sie plötzlich stehen. Da lagen ein Mann und
eine Frau auf der Erde. Sie waren nackt und völlig abgemagert. Ihre Haut war
stumpf, ihr Haar dünn. Emma kniete sich zu ihnen. „Warum ist keiner von deinen
Leuten bei ihnen, Amboora?“ „Keine Onkel und Tanten.“ „Du meinst, die beiden
sind fremd hier?“ „Fremd, ja.“ „Und deshalb kümmert sich keiner um sie?“
Amboora nickte. Sie drehte sich um und sah, wie Frauen Damper und Tee zubereiteten
und niemand von den Fremden Notiz nahm. „Du weißt“, sagte sie, „dass Jesus
predigt, wir sollen unseren Nächsten lieben. Unsere Nächsten sind auch diese
Fremden.“ Amboora sagte nichts und blickte zu Boden. „Danke, Amboora, dass du
mich gerufen hast. Hol Wasser und aus der Küche die Dose mit dem Trockenobst,
und stell es unter die Veranda am Vorratshaus!“ Amboora nickte und ging.
Die beiden Menschen
waren so schwach, dass sie sich nicht bewegten. Aus dem Mund der Frau rann ein
Faden Blut. Skorbut, dachte Emma. Eine siebenjährige Dürre würde beginnen,
hatte John gesagt. Sie sah hinauf in den Himmel. Noch war es früh, und ein
leichter Dunst lag über der Sonne. Doch in wenigen Stunden schon wäre der
Himmel wieder strahlend blau und ohne Wolken. In der Ferne würde die Hitze über
der trockenen Ebene flimmern, und die Berge würden rötlich brennen. Gestern
Mittag hatte sie zweiundvierzig Grad Celsius auf dem Thermometer unter der
Veranda abgelesen. Sie stand auf und ging hinüber zu drei Männern, die am Boden
hockten und mit dunklen Stimmen redeten. „Helft mir, die beiden zu tragen!“,
sagte sie auf Aranda.
Die Männer sahen sie an,
ohne ihre Miene zu verziehen. Sie zeigte zu den beiden Kranken. Doch keiner
bewegte sich. „Jesus Christus sagt euch, ihr sollt den Menschen helfen!“ sagte
sie nachdrücklich. „Geht und helft mir tragen!“ Noch immer zögerten sie, aber
sie schienen zu überlegen. Emma erwartete, dass sie eine Gegenleistung
verlangten, aber plötzlich stand erst einer auf, dann erhoben sich auch die
anderen beiden. Sie hoben die Kranken hoch, legten deren Arme um ihre Schultern
und folgten Emma. Auf dem Weg über den Platz sah Emma Robert mit dem
Anlasser in der Hand an seinem
Wagen. Warum war er noch nicht fort? „Sie könnten mir in Stuart doch einen
Gefallen tun. Wir brauchen Zitrusfrüchte!“, rief sie ihm zu. „So was haben die
in Stuart auch nicht, aber ich will sehen, was sich machen lässt!“
Am Vorratshaus bat Emma
die Männer, die Kranken unter das Dach in den Schatten an die Wand zu setzen.
Sie kniete sich hin und gab zuerst der Frau aus dem Blechbecher zu trinken, den
Amboora aus dem Kerosinkanister mit Wasser gefüllt hatte. Die Frau konnte kaum
schlucken, so schwach war sie. Das meiste Wasser lief ihr wieder aus dem Mund.
Die Männer, die die beiden gestützt hatten, sahen zu. „Amboora, gib mir den
anderen Becher!“, sagte Robert und kniete sich zu dem Mann. Emma sah ihn
überrascht an und wusste nicht, ob sie über sein Bleiben erleichtert sein
sollte. „Sie hätten sie einfach sterben lassen“, sagte sie bitter und nahm eine
getrocknete Aprikose aus der Dose, die Amboora aus der Küche geholt hatte. Sie
riss ein Stück ab und gab es der Frau zu essen. Sie hat kaum noch Zähne, fiel
Emma auf. Dennoch, die bis auf die Knochen abgemagerte Frau kaute, und in ihre
Augen kehrte ein wenig Leben zurück.
„Warum nur sind sie so ... so unbarmherzig zueinander?“,
fragte Emma. „Finden Sie denn, dass wir barmherzig zueinander sind?“ Warum sind
Sie so zynisch, wollte sie fragen, doch er fügte schon hinzu: „Nur so konnten
sie Jahrtausende in dieser lebensfeindlichen Wüste überleben. Sie konnten die
Schwachen nicht mitschleppen und durchfüttern.“ Emma seufzte. Es gab noch viel,
viel mehr zu tun, als sie am Anfang geglaubt hatte. Und sie, sie wusste noch
viel zu wenig. War es Margarete Weiß auch so gegangen? Sie gab der Frau ein
weiteres Stück der
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