Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Neugierig stocherte sie
mit dem Spaten weiter in der Erde und stieß wenig später auf einen Widerstand.
Wieder bückte sie sich und konnte ein weiteres Bild herausholen. Diesmal
erkannte sie Bäume. Bäume mit weißen Stämmen, so wie sie im trockenen Bett des
Finke River und des Todd River wuchsen. Als sie sich aufrichtete, bemerkte sie,
dass die Frauen sie beobachteten. „Kennt ihr diese Bilder?“, fragte sie. Doch
keine der Frauen antwortete. Isis Gesicht verfinsterte sich sogar. „Was ist
los, Isi?“, fragte sie, aber die Frau wandte sich wortlos wieder den Pflanzen
zu.
Emma ging mit den beiden
Gemälden auf die andere Seite des Hauses und lehnte sie an die Wand auf der
Veranda. Sie betrachtete die beiden unterschiedlichen Formate, und plötzlich
erinnerte sie sich an die rechteckigen hellen Stellen an der Wand des
Schlafzimmers und des Arbeitszimmers. Entschlossen nahm sie beide Bilder und
ging ins Haus. Tatsächlich: Das Größere mit der Bergkette passte exakt auf den
Abdruck im Schlafzimmer. Aufgeregt ging sie ins Arbeitszimmer. Ja: Das mit den
weißstämmigen Bäumen hatte über dem Schreibtisch gehangen. Nachdenklich ließ
sie sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen, die beiden Bilder in den
Händen. Hatten ihre Vorgänger die Bilder nicht mehr gemocht? Hatten sie kahle
Wände vorgezogen? Diese Bilder waren so farbenprächtig, der azurblaue Himmel,
die purpurnen Berge ... Auf einmal glaubte sie, schon einmal ein ähnliches Bild
gesehen zu haben. Wenn sie nur wüsste, wo ... Schließlich stand sie auf und
machte mit der Gartenarbeit weiter, bis es Zeit wurde, das Abendessen
vorzubereiten.
Zur Feier des Tages
hatte Paul den Eingeborenen ein paar Schafe zum Schlachten überlassen. Sogleich
wurden Feuer entzündet und die Tiere mitsamt ihrem Fell in die Glut gelegt. Der
Geruch von verbrannter Wolle und Holz hing in der Luft, Rauch stieg in den
nachtblauen Himmel, und fröhliches Lachen, Kindergeschrei und Hundgebell
hallten zur Veranda herüber. Wie lebendig die Welt plötzlich ist, dachte Emma
verwundert, als sie mit Amboora den Tisch deckte. Warum fühle ich mich nur so
einsam?
Obwohl der Hammelbraten
einen etwas strengen Geschmack hatte, bot er doch eine Abwechslung zur
sonstigen Küche aus Brot, Damper und gepökeltem Fleisch, und alle griffen
ausgiebig zu.
Pauls Stimmung war
umgeschlagen. Ians Ankunft hatte ihn offenbar von seinen düsteren Gedanken
abgelenkt. Er lachte sogar hin und wieder. Weder John noch Paul erwähnten
Robert Gordon, was Emma einerseits wunderte, andererseits aber auch
erleichterte. Überhaupt, allmählich schien sich alles zum Guten zu wenden. Die
Rinder, die John am vergangenen Tag hergebracht hatte, machten alle einen
gesunden Eindruck; die beiden kranken Eingeborenen hatten sich schon im Laufe
eines Tages ein wenig erholt; und John würde morgen mit dem Schulunterricht
beginnen.
Die Missionsstation
sollte bald produktiv sein, hatte Paul am Tisch verkündet. Schließlich mussten
die Eingeborenen lernen, Geld zu verdienen und eigenständig zu werden. Pastor
Weiß hatte angefangen, aus den Schaffellen Decken nähen zu lassen und sie zu
verkaufen. Emma unterstützte diese Idee. Mit den beiden Nähmaschinen könnte man
anfangen. Die Frauen sollten unbedingt nähen lernen. Das wäre bestimmt
nützlich, weil es ihnen auch an anderen Orten eine Stellung verschaffen konnte.
„Es gibt Missionsstationen, die stellen Schuhe her“, sagte
Paul, „oder gerben. Aber dazu braucht man viel Wasser. So etwas können wir nur
mit einer Wasserleitung. Doch das ist eine Menge Arbeit und kostet einen Haufen
Geld. Wir brauchen Spenden.“ „Robert Gordon hat doch Fotos gemacht“, sagte sie,
plötzlich glücklich, den Namen ausgesprochen zu haben. Pauls Züge verhärteten
sich, und seine Augen bekamen auf einmal etwas Kaltes. John wich ihrem Blick
aus. Nur Ian aß arglos weiter und nickte zustimmend. „Ach, übrigens“, sagte
Emma, um das Thema zu wechseln, „ich habe hinter dem Haus Gemälde gefunden.“
„Gemälde?“ Ian hob die Augenbrauen und lachte dann. „Hier in diesem verfluchten
... oh, entschuldigen Sie, Herr Pastor ... in diesem Land gibt’s ja so einiges,
Opal und Gold, aber von Gemälden hab’ ich noch nichts gehört!“ John stimmte,
wenn auch verhalten, in Ians Lachen ein, nur Paul blieb ernst. „Also, jetzt
haben Sie uns neugierig gemacht!“ Ian lachte noch immer. „Ich erinnere mich an
das Haus
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