Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
kaute Pituri. „Wirinun“, sagte Jalyuri und setzte sich
ihm gegenüber in den Staub, „was kann ich tun, damit Mani wieder gesund wird?“
Wirinuns Augen, so schmal wie Echsenaugen, sahen ihn scharf an. „Der Rat wird
entscheiden.“ Jalyuri schluckte. Der Rat ... „Wirinun, du hast gesagt, wir
sollen uns in Acht nehmen. Was haben wir falsch gemacht?“ Irgendetwas mussten
sie übersehen haben. Der Medizinmann kaute weiter und blickte unbeirrt zu den
Bergen. „Der singende Pastor ruft“, sagte er schließlich mit kaum hörbarer
krächzender Stimme. „Er hat nicht aufgehört zu rufen.“
In Jalyuri wirbelten die
Gedanken durcheinander. Du sollst nicht töten, du sollst nicht töten, hieß es.
„Kannst du nichts tun, Wirinun?“, fragte er. Er wartete, doch Wirinun sagte nichts
mehr. Jalyuri verabschiedete sich,
aber der Medizinmann nahm keine Notiz von ihm. Jalyuri hatte gehofft, Wirinun
würde den fremden Geist beschwören und dessen Zauberkraft schwächen. Warum tat
er es nicht? Was sollte er nun tun? Das weiße Haus Gottes rief ihn. Er hörte es
ganz deutlich. Seine Beine trugen ihn von selbst dorthin.
15
Petrus kam aus der
Kirche! Emma hielt erstaunt inne und nickte ihm zu. Auch Petrus nickte und ging
weiter zu den Hütten. Er hat für Mani gebetet, dachte sie und hätte dies am
liebsten Paul gesagt. Doch er hätte sicher nur wieder eine bittere Bemerkung
gemacht. Sie ging ins Haus, um Fieberthermometer, Tabletten und frisches Wasser
für Mani zu holen.
Als Emma in Manis Hütte
zurückkam, hielt Amboora das Kind in den Armen, und Isi, die neben ihr stand,
sagte mit düsterem Ausdruck: „Mani nicht gut.“ Widerspruchslos ließ sich Mani
die Temperatur messen. Das Quecksilber stieg auf 39 Grad, und ihr Puls ging
hart und sehr langsam. Zum Glück hat sie das Kind zur Welt bringen können,
dachte Emma. Vielleicht ist es nur eine kurze, harmlose Infektion? Warum gibt
es hier keinen Arzt oder kein Krankenhaus, in dem man ihr eine Injektion zur
Stärkung geben könnte? Emma hoffte, dass die Kräuterumschläge, die Isi gerade
erneuerte, helfen würden. Wenn sie es richtig verstanden hatte, dann handelte
es sich um Extrakte einer Baumrinde.
Emma gab Mani von den
getrockneten Aprikosen zu essen. Zuerst weigerte Mani sich, doch als Isi ihr
ein paar Worte zuflüsterte, aß sie sie doch. Es war wichtig, dass Mani wieder
zu Kräften kam. Emma gab ihr abgekochtes Wasser zu trinken und zeigte Isi, wie sie Wadenwickel machen
sollte. Isi nickte und machte sich sehr geschickt an die Arbeit. Nachdem sie am
Nachmittag zum wiederholten Mal nach Mani gesehen hatte, deren Zustand
unverändert war, besuchte Emma die beiden Eingeborenen, die vor zwei Tagen
krank ins Lager gekommen waren. Sie erschrak. Die Frau hockte auf der Erde, ihr
Mann lag leblos vor ihr im Sand.
Als Emma sich bückte,
bemerkte sie, dass seine Hose, die er inzwischen trug, blutig war. Typhus,
dachte sie sofort. Das typische Anzeichen, der rotfleckige Ausschlag, war auf
der schwarzen Haut nicht zu erkennen. Hatte sie ihn übersehen? Emma bedeutete
der Frau, die Zunge herauszustrecken. Sie war belegt. Ihr Bauch war
aufgedunsen, aber das hatte sie als Zeichen der Unterernährung gedeutet. Emma
maß ihren Puls. Er war sehr, sehr langsam, und ihre Haut war heiß. War das
wirklich Typhus? Waren sie mit Typhus ins Lager gekommen? Sie dachte an Robert
Gordons Bemerkung. „Sie können Kranke nicht mitschleppen ...“ Mein Gott, dachte
sie, hatte Mani etwa Typhus?
Plötzlich wurde ihr
bewusst, wie schwierig ihre Lage war. Es gab keinen Arzt, kein Labor, das die
notwendigen Blut-und Stuhltests vornehmen könnte, damit sie genau wussten, um
welche Krankheit es sich handelte. Sie hatte noch nicht einmal Strychnin, um es
bei akuter Herzschwäche verabreichen zu können. Als sie aufsah, entdeckte sie
Wirinun. Er stand nur ein paar Schritte von ihr entfernt. Er musterte sie durchdringend.
„Wirinun!“, sprach sie ihn mutig an, „ist noch jemand krank?“ Er reagierte
nicht. „Wirinun!“ Wortlos drehte er sich um und ging in Richtung der Berge
davon. „Wirinun!“, rief sie zornig. Sie fühlte sich ohnmächtig. Doch Wirinun schien sich irgendwo im Purpur
der Berge aufzulösen. Sie musste sich sofort vergewissern, ob es noch weitere
Krankheitsfälle gab.
Als sie drei weitere
Kranke entdeckte, die von ihren Angehörigen betreut wurden und die alle
dieselben Symptome aufwiesen – belegte Zunge, Fieber,
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